Süddeutsche Zeitung

Mitten in Starnberg:Grauzone vor der Bushaltestelle

Die Stadtverwaltung bereitet sich schon auf Schneemassen vor und will die Bürger schaufeln lassen. Da bekommen die Stadträte kalte Füße

Kolumne von Peter Haacke

Ja, ist denn heut' schon Weihnachten? Natürlich nicht, wissen kundige Menschen mit Blick auf den Kalender - auch wenn es nur noch drei Monate sind bis zu den Festtagen. Gleichwohl machen sich angesichts des jähen Endes dieses heißen Sommers bereits schon jetzt einige Menschen Gedanken um die kalte Jahreszeit. Mit Weitblick auf Eis und Schnee sorgt sich etwa die Starnberger Organisationseinheit "Straßen- und Landschaftsbau" um die städtische Reinigungs- und Sicherungsverordnung und stützt sich dabei auf wegweisende Entscheidungen der Oberlandesgerichte Köln und Dresden: Die Richter befanden, dass Anlieger dazu verpflichtet werden können, auch den Gehweg an Bushaltestellen von Bordsteinkante bis Wartehäuschen zu räumen und zu streuen.

Prompt landete jüngst ein Entwurf zur Anpassung der "Verordnung über die Reinhaltung und Reinigung der öffentlichen Straßen und Sicherung der Gehbahnen im Winter" im Starnberger Haupt- und Finanzausschuss. Vorgeschlagen wurde die "Ergänzung der Räum- und Streupflicht der Anlieger an den Bushaltestellen des Öffentlichen Nahverkehrs". Ohnehin sind Anlieger gemäß der Verordnung dazu verpflichtet, werktags von 7 bis 19 Uhr sowie sonn- und feiertags von 8 bis 18 Uhr öffentliche Straßen auf eigene Kosten in sicherem Zustand zu erhalten. Und das ist so oft zu wiederholen, "wie es zur Verhütung von Gefahren für Leben, Gesundheit, Eigentum oder Besitz erforderlich ist". Bislang aber war der Bereich vor Haltestellen nicht geregelt.

Gleichwohl traf die Ergänzung auf wenig Gegenliebe: In seltener Harmonie lehnte das Gremium den Entwurf ab, selbst Bürgermeister Patrick Janik mochte dem Vorschlag seiner Verwaltung nicht folgen. Die Vorstellung, dass ein mühsam per Muskelkraft frisch geräumter Gehweg nur wenig später durch einen städtischen Straßenschneepflug wieder zugeschüttet wird, bereitete den Stadträten offenbar kalte Füße. Mit null zu elf fiel der Entwurf durch und wird wohl auch im Stadtrat keine Chance haben. Offen bleibt jetzt aber die Frage, wer den Gehweg zwischen Bordsteinkante und Bushäuschen räumen wird, sollte es tatsächlich mal wieder Schnee und Eis geben. Aber vielleicht macht die Stadtverwaltung den Bürgern noch ein Geschenk - und räumt künftig sämtliche Gehwege der Stadt: Es ist doch bald Weihnachten.

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Quelle:
SZ vom 24.09.2020
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