Mitten in Starnberg:Die Rindviecher sind schuld

Es wäre zu schön gewesen, wenn die entlaufenen Kälber nicht wieder eingefangen worden wären

Von Astrid Becker

Stadtrat in Starnberg zu sein muss ungefähr so ein großes Vergnügen sein wie im Wintermantel durch den tropischen Regenwald zu stapfen. Noch schlimmer dürfte dieses Amt sein, wenn es sich mal wieder um die Starnberger Gretchenfrage Tunnel oder Umfahrung geht, wie an diesem Montag. Wahrlich, da wünschte man sich, ein Unbekannter würde einen aus dem rosa Sitzungssaal in der Schlossberghalle befreien und man könnte sich tief ins Unterholz der umliegenden Wälder zurückziehen - so wie die 15 Kälber, die sich dort in aller Gemütsruhe wochenlang herumgetrieben haben. Jetzt sind sie alle wieder eingefangen, was zwar alle als gute Nachricht feiern, in Wahrheit aber ein echtes Desaster ist.

Denn damit sind die Chancen auf eine vernünftige Nutzung des Fünfseenlands ein für allemal verspielt. Das mag vielleicht auf Anhieb übertrieben klingen. Ganz ehrlich: Das ist es auch. Aber man stelle sich einfach mal vor, die Jungrinder wären im Wald geblieben. Wenn jetzt irgendwer schreit und meint, sie könnten dort gar nicht überleben, den könnten ihr Besitzer und seine Helfer glatt eines Besseren belehren. Denn auf der Lauer nach dem lieben Vieh haben sie erstaunliche Entdeckungen gemacht: Beispielsweise, dass sich die Färsen, die sich zuvor praktisch nicht kannten, zu einer funktionierenden Herde zusammen geschlossen haben, mit Leitkuh und allem anderen, was zum Überleben als Rind noch so wichtig ist. Schnell haben die Tiere dabei herausgefunden, wie sie ihren Durst ohne Bauern löschen können - in dem sie mit den Hufen überfrorenen Pfützen einschlugen, um an das Wasser zu kommen. Anpassung an die Umgebung, in der Wissenschaft Adaption genannt, geht bei Tieren rasend schnell, was man in der Inselwelt von Galapagos praktisch täglich sehen kann.

Diese weite Reise müsste künftig niemand mehr unternehmen, wenn, ja wenn die Rinder nicht eingefangen worden wären. Sie wären sukzessive verwildert, was die Verhaltensforscher des hiesigen Max-Planck-Instituts auf die Idee gebracht hätte, sie in einem umfangreichen Projekt zu studieren. Samt Monitoring, Besenderung und wie das alles heißt, was man da so machen kann. Großartig, das allein hätte das "Fünfseen-Wildrind" schon berühmt gemacht. Dann hätte man noch ein paar Stiere in den Wald bringen müssen, damit auch für Nachwuchs gesorgt ist. Mit Sicherheit hätte sich auch irgendein Verein gefunden, der sich für den Schutz dieser einzigartigen Population eingesetzt hätte. Zum Beispiel, in dem man das ganze Fünfseenland zum Nationalpark mit limitierten Öffnungszeiten erklärt. Viele Einheimische, die sich schon lange vom Rest der Welt abgrenzen wollen, wären endlich zufrieden. Kein Verkehr mehr. Keine endlosen Tunnel-Diskussionen mehr. Nur Ruhe und Beschaulichkeit - auch im Stadtrat. Leider ein Traum, der sich nie erfüllen wird. Und schuld daran sind nur ein paar Rindviecher.

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