Süddeutsche Zeitung

Mitten in Starnberg:Die Arbeitstiere vom See

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Mögen sich andere Leute daheim auskurieren - der Starnberger gehört zu den Helden der Arbeit. Warum nur?

Glosse von Linus Freymark

Der Starnberger ist ein Arbeitstier. Die Villen am Seeufer kommen schließlich nicht von ungefähr, ohne Fleiß kein Preis, eh klar. Nun aber hat die These vom umtriebigen Starnberger, die man bislang lediglich mit den opulenten Anwesen im Ort begründen konnte, einen mehr oder wenigen wissenschaftlichen Beleg: Nach einer Auswertung der Betriebskrankenkassen in Bayern sind die Starnberger bayernweit tatsächlich am seltensten krank. 11,6 Tage versäumten die Einwohner hier im vergangenen Jahr durchschnittlich wegen Arbeitsunfähigkeit. Zum Vergleich: Im oberfränkischen Kronach kamen Arbeitnehmer im Schnitt auf fast 30 Fehltage, das bayerische Mittel liegt bei 16,3 Tagen.

Woher kommt dieser Starnberger Arbeitseifer? Ist es die Seeluft, die alle heimischen Zahnärzte und Schönheitschirurgen morgens juchzend erwachen und in freudiger Erwartung von Backenzahnbohrungen und Fettabsaugungen in ihre Münchner Praxen fahren lässt? Sind die Starnberger von Natur aus einfach fleißiger als die faulen Kronacher? Oder schleppen sich die Leute hier einfach eher sterbenskrank zur Arbeit, während der vorausschauende Oberfranke zu Hause bleibt und den eigenen Gesundheitszustand sowie den seiner Kollegen für wichtiger erachtet als das 10-Uhr-Meeting mit dem Abteilungsleiter? Die Betriebskrankenkassen liefern als Antwort auf diese naheliegenden Fragen lediglich eine Arbeitsthese. Wohlstand korreliert Medizinern zufolge oft mit dem Gesundheitszustand, wer reicher ist, der ist meist auch gesünder. Und weil die durchschnittliche Kaufkraft pro Kopf in Starnberg deutlich über dem bundesdeutschen Mittel liegt, erfreuen sich die Einwohner hier eben auch einer überdurchschnittlich guten Gesundheit.

Vielleicht ist aber auch das Gegenteil der Fall, und der Starnberger kämpft mit seinem Einsatz in der Firma gegen eine tiefe innere Leere an, frei nach Sir Arthur Conan Doyle, der einmal gesagt haben soll: "Arbeit ist das beste Mittel gegen Verzweiflung." Aber gegen diese kapitalistischen Versprechungen ist der Starnberger doch immun - oder etwa nicht?

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Quelle:
SZ vom 03.12.2021
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