Süddeutsche Zeitung

Mitten in Dießen:Um Haaresbreite

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Kämmerer Florian Zarbo nimmt es bei einem Bauantrag ganz genau

Kolumne von Armin Greune

Der Zehntelmillimeter gehört eher zu den unterschätzten Maßeinheiten. Dabei ist ein Blatt dieser Zeitung nicht ganz so dick, gleiches gilt für die sprichwörtliche Haaresbreite. Weshalb der Laie dem Zehntelmillimeter wohl auch am ehesten im Spitzensport Bedeutung zumisst und vielleicht an Zielfotos in Sprintwettbewerben denkt. Dort freilich hat die Größenordnung noch nicht Einzug gehalten: Beim 100-Meter-Lauf entspricht sie einem Vorsprung von einer Zehntausendstelsekunde und ist wohl auch mit modernster Technik kaum zu fassen. Anders sieht es im Schießsport aus: So entschied der Zehntelmillimeter etwa über den Schützenkönig im oberpfälzischen Reißach und damit über die Schicksalsfrage "Metall oder Wurst", wie die dortige Lokalzeitung meldet.

Natürlich geht es auch im Dießener Bauausschuss oft um die Wurst, die Haaresbreite aber hatte erst in der Sitzung an diesem Montag Premiere. Im Bauantrag für ein Einfamilienhaus wurde darum gebeten, das Baufenster um 1,705 Meter überschreiten zu dürfen, da bereits die bestehende Bebauung "an der Nordostecke um 2,6275 Meter" herausragt. Potzblitz, da nimmt es einer aber genau! Kein Wunder, denn beim Antragsteller handelt es sich um Florian Zarbo, der bis 2013 die Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten in der Gemeinde Dießen absolvierte und 2016 in den gehobenen Dienst aufstieg. Noch im Oktober desselben Jahres übernahm er die Kämmerei der Nachbargemeinde Utting, um dort drei Monate später auch noch zum Geschäftsstellenleiter befördert zu werden. Fast gleichzeitig trat Zarbo den Freien Wählern in Dießen bei, wo er Anfang dieses Jahres einstimmig zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt wurde. Und sich sofort die Frage stellte, ob sich da der künftige Bürgermeister der Marktgemeinde in Stellung bringt. Bei der nächsten Kommunalwahl 2020 wäre Zarbo zwar schon 25 Jahre alt - hätte aber im Erfolgsfall dennoch eine Blitzkarriere hingelegt, deren Fortschritt man in Zehntelsekunden darstellen könnte.

Und dass es einem Mann dieses Formats auf jeden Zehntelmillimeter ankommt, ist doch wohl klar. Wer dabei Haarspalterei argwöhnt, sollte sich vor Augen halten, dass auch ein Blatt dieser Zeitung dicker als das Universum wird, wenn man es 103 Mal falten könnte.

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Quelle:
SZ vom 18.07.2018
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