Mitten in Dießen:Sonnige Senioren im Schatten

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Der Seniorenkreis im Strandbad von Riederau wollte einen Baum fällen lassen - da spielt die Gemeinde aber nicht mit

Von Armin Greune

Geh mir nur ein wenig aus der Sonne", soll Diogenes dem Großen Alexander geantwortet haben, als der ihm die Erfüllung eines beliebigen Wunsches anbot. Die Geschichte gilt als Beispiel für die Anspruchslosigkeit des antiken Philosophen. Ein ähnliches Stadium der Weisheit frei von den meisten Bedürfnissen bleibt in unserer knallhart materialistischen Neuzeit nur Wenigen im vorgerückten Alter vorbehalten.

Da gibt es den "Senioren-Sonnenkreis" in Riederau, ein - laut eigener Einschätzung - "sehr illustrer Nachmittagsstammtisch", der sich im örtlichen Strandbad trifft. Und zwar vom zeitigen Frühjahr bis in den Spätherbst, wie der Kreis dem Dießener Gemeinderat in einem Schreiben mitteilt: Der Strandbad-Wirt versorge sie auf der Terrasse auch nach der Saison noch mit Getränken, Kuchen und Steckerleis. Und "ein gütiger Gemeinderat" habe dafür gesorgt, dass die Senioren toilettenmäßig "am Bahnhof keine Probleme mehr haben".

Dennoch: "einen kleinen Schönheitsfehler" haben die Damen und Herren in ihrem dionysischen Idyll am See entdeckt: Wenn die Sonne sich verabschiede "spendet ein Baum auf der Umkleidekabine mehr Schatten als gewünscht". Das könne den Aufenthalt "leider sehr schnell frisch und recht ungemütlich machen" - um Entfernung des Störenfrieds wird höflich gebeten.

Bevor der Bauausschuss des Gemeinderats dieses Ansinnen schweren Herzens aber doch einstimmig ausschlug - womöglich war gerade der Schattenwurf in der gelegentlich mit Hitze verbundenen Strandbadsaison ausschlaggebend - hatte die Rathausverwaltung den Antrag sorgfältig geprüft. Der Baumgutachter der Kommune gab zum corpus delicti Auskunft: Es handle sich um eine neun Meter hohe, 40 Jahre alte Hainbuche, die 37 Meter vom Stammtisch entfernt wurzelt. Grundsätzlich denkbar fand der Fachmann auch, die Sitzplätze ein wenig seitlich zu verrücken, um die wärmende Sonne bis zur bitterem Neige auszukosten. Da kennt der Baumspezialist den Senioren-Sonnenkreis und die alten Griechen schlecht: "Störe meine Kreise nicht", hat schon Aristoteles geantwortet, als ihn römische Soldaten in Syrakus gefangen nehmen sollten. Seine Beharrlichkeit bezahlte der 75-jährige Weise bekanntlich mit dem Leben.

© SZ vom 28.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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