Die moderne Technik macht es möglich: Bereits in der Früh trudelt das erste Foto per Whatsapp auf dem Smartphone ein: Eine brennende rote Kerze auf einem selbstgebundenen Adventskranz. Im Laufe des Tages schicken Freunde und Verwandte weitere Kranzfotos. Mal hängt er inmitten des Wohnzimmmers, dann liegt er auf dem Tisch und die Hauskatze sitzt malerisch daneben, mal ist er minimalistisch nur mit Kerzen bestückt, dann opulent mit Glitzerkugeln geschmückt. Man selbst hat noch gar nichts vorbereitet. Die Dekokisten stehen verstaubt auf dem Speicher. Das schlechte Gewissen zwickt zwar ein wenig, aber irgendwie lässt der ganze Alltagstrubel keine rechte Stimmung aufkommen.
Am Nachmittag dann ein Spaziergang durch einen der Gilchinger Hauswälder. Plötzlich vernimmt man wundersame Klänge, die durch den Wald schallen. Feierliche Melodien ertönen und der Wanderer fühlt einen unerklärlichen Drang den Tönen zu folgen. Während er über Waldwege durch die einsetzende Dämmerung stapft, denkt er kurz an die Möglichkeit, dass ein Jäger zum "Halali" blasen und man selbst in seiner braunen Montur vielleicht mit einem Rotwild verwechselt werden könnte. Trotzdem, die geheimnisvolle Musik löst einen unwiderstehlichen Drang aus, deren Ursprung zu suchen.
Plötzlich denkt man an die Weihnachtsgeschichte: So könnten vielleicht vor zweitausend Jahren die Hirten auf den Feldern gefühlt haben, die ebenfalls ein wenig bang dem Kometen und dem Ruf der Engel gefolgt sind. Auf einer Waldlichtung sieht man vor einem hell erleuchteten Gebäude etwas Goldenes blitzen. Es ist ein Horn. Ein einsamer Musiker lässt die vollen Töne erklingen. Das "Stille Nacht" klingt noch ein wenig schräg, aber bis Weihnachten ist ja noch Zeit. Der ungebetene Zaungast bleibt im Dickicht des Waldes verborgen und genießt noch ein paar Minuten diesen Zauber, bis er sich auf den Heimweg begibt. Und plötzlich ist sie da, die Adventsstimmung.