Es ist nicht leicht, sich in die Seele des Wolfs hineinzudenken, schon eher in die des Haushundes, der mit seinem ruhelos durch die Wälder streifenden Vetter zwar noch genetisch verwandt ist, aber dessen innere, wilde Abgründe dank einer bequemen und unbedrohten Lebensweise längst nicht mehr teilt. Womöglich schämt sich der domestizierte Haushund sogar tief in seiner Seele, dass er das Unbändige, Ungezähmte seiner geheimnisvollen Vorfahren eingetauscht hat gegen die täglich kampflos verfügbaren Leckerli und den warmen Platz im Körbchen.
Dessen ungeachtet aber gibt es Augenblicke, an denen Hunde immer wieder zu Wölfen werden. Das geschieht jeweils dann, wenn die Freiwillige Feuerwehr mit Blaulicht und Sirenengetöse in Richtung Autobahnzubringer ausrückt, meist begleitet von den Fanfaren des hinterherrasenden Notarztwagens. Zwei Hunde in der Nachbarschaft der Obermühle rührt diese Alarmbeschallung stets zutiefst. Beide recken dann reflexartig und maximal dramatisch den Hals himmelwärts und stimmen ein gemeinsames, archaisch anmutendes, zweistimmiges Lied an, ein Heulen im Duett, das schaurig über den Bergwald schallt und zu Herzen ginge, wenn es nicht immer wieder so, nun ja, saukomisch wäre.
Warum sich ausgerechnet nur diese beiden ansonsten völlig unauffälligen, einander gänzlich unähnlichen und freundlichen Hausgenossen ihrer Herkunft besinnen, alle anderen Hunde in der Nachbarschaft aber nicht, weiß keiner. Vielleicht erliegen die beiden einfach einem banalen Irrtum, womöglich erkennen sie im Sirenengeheul der Feuerwehr entfernte Lockrufe, man denke nur an den Schwan, der sich einst am Kleinhesseloher See unsterblich in ein Tretboot verliebt hat. So etwas kann schon passieren. Aber irren, das ist doch eigentlich nur menschlich, und nicht wölfisch.