Süddeutsche Zeitung

Mitten am Ammersee:Servus, Utting

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Mit dem alten Damapfer verbinden sich Kindheitserinnerungen. Diese sind für immer weg

Von Tobias Opitz

Zersägt längs durch die Mitte, nach fast 60 Jahre rüde aus dem Wasser des Ammersees gehoben, mitten in die laute Stadt versetzt und zur Rummelbude degradiert.

So fühlt es sich im ersten Moment an, wenn wieder einmal ein Stück Kindheit verschwindet. Ein ganz besonderes. Die "MS Utting" zog auf dem Ammersee schon ihre Runden, als ich dort direkt am See zuerst das Laufen, dann das Schwimmen, das Segeln und über die Jahre ganz viel fürs Leben lernte. An jedem Tag gehörte es zu den kleinen Wettbewerben schon am Frühstückstisch, die Schiffe am Motorengeräusch zu unterscheiden, zu erkennen; das trockene Blubbern aus dem Schornstein dieses Schiffes war unverkennbar und fast Garant für das morgendliche Erfolgserlebnis. Und wer ganz gut war, versuchte es bei geschlossenen Augen am verspätetem Wellenschlag. Das funktionierte tatsächlich... die dickbauchige "Utting" hinterließ bei ihrer ersten Fahrt am Morgen von Breitbrunn rüber ans andere Ufer ein typisch-schmatzendes Geräusch. Wer das Spiel gewann, bekam auch bei der zweiten Semmel die unter uns Kindern umkämpfte obere Seite. Die mit viel Mohn.

Unüberhörbar auch das Quietschen der pechschwarzen Bauchbinde aus hartem Gummi beim Anlegen am Dampfersteg. Bei starkem Westwind - dann, wenn es schwierig wurde, das Schiff möglichst liebevoll an die hölzernen Dalben zu legen - war es besonders laut. Und manchem der alten Kapitäne gelang es, mit leisem Spott im Dorf gerne kommentiert, niemals, die "Utting" ohne jedes Gerumpel an den Dampfersteg zu bringen.

Am Abend dann, wenn wir den ganzen Tag am Ufer, im Wasser, mit dem Ruderboot "ganz weit weg" von den Erwachsenen und "endlich alleine" unterwegs waren, war es unzählige Male wieder die "Utting", die unser Leben bestimmte. Denn oft war sie das sogenannte Abendschiff, das so um sieben rum ohne Passagiere von Herrsching nach Stegen in den Heimathafen fuhr. Für uns das endgültige, von den Großen vorgegebene Signal, dass der Tag zu Ende ist und wir nach Hause müssen.

Tolle Nächte mit Dixie-Jazz und verschwiegene Liebeleien auf dem Achterdeck, verbotene Räusche, das wüste Schimpfen der Besatzung, wenn man vom Dampfersteg gleich nach dem Ablegen den Kopfsprung ins sprudelnde Schraubenwasser gewagt hatte - tempi passati.

Jetzt also auf dem Trockenen, auf einer Brücke. Servus, Utting!

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Quelle:
SZ vom 23.02.2017
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