Firmenporträt:Crash! Boom! Boom!

Firmenporträt: Los ging es mit einem Kran, von dem man die Autos kopfüber herunterfallen ließ: Messring-Geschäftsführer Dierk Arp.

Los ging es mit einem Kran, von dem man die Autos kopfüber herunterfallen ließ: Messring-Geschäftsführer Dierk Arp.

(Foto: Georgine Treybal)

Das Gilchinger Unternehmen Messring stellt Crashtestanlagen für die Automobilbranche her und verkauft diese in die ganze Welt. Nun expandiert die Firma erneut - dieses Mal in die USA.

Von Tim Graser, Gilching

3200 Quadratmeter Nutzfläche hat die längliche Werkshalle. In den Boden eingelassene Schienen verlaufen längs durch das Gebäude. Auf einem der großen Regale in knapp sechs Metern Höhe steht ein zerknautschtes, gelbes Autowrack. "Den haben die vom ADAC uns damals geschenkt", sagt Dierk Arp, Geschäftsführer der Gilchinger Firma Messring. Autos zerstören, darum geht es hier also - ganz stumpf gesagt.

Die Messring-Gruppe, deren Hauptsitz am "Air Tech Campus" liegt, entwickelt, vertreibt und montiert verschiedene Crashtest-Technologien. Die klassische Anlage, bei der man ein Auto auf einem Schlitten mit Vollgas gegen eine Wand krachen lässt, ist dabei nur eine der vielen Produkte. Die Gilchinger Ingenieure bauen inzwischen verschiedene Systeme, um die ganze Bandbreite an möglichen Verkehrsunfällen simulieren zu können: Ein Frontalaufprall auf dem hydraulischen Schlitten, Überschläge im "statischen Rollover-Prüfstand" oder Umkippen auf der Böschungsrampe.

Seit 2018 entwickelt die Tochterfirma "Messring Active Safety" in Ingolstadt zusätzlich auch Dummy-Puppen, mit denen Autobauer ihre Sicherheitssysteme testen können, wie zum Beispiel die automatische Notbremse. Wenn ein Fußgänger vor das Auto läuft, soll dieses von sich aus bremsen. In Ingolstadt hat man dafür eine selbst laufende Puppe entwickelt, die man dafür vor das fahrende Auto laufen lassen kann.

Auch einen Baby-Dummy, der dann im Maxi-Cosi auf dem Rücksitz Platz nimmt, haben sich die Ingolstädter ausgedacht. Per Druckluft kann dieser sogar Atembewegungen simulieren. "Es gibt einige Menschen, die vergessen ihr Baby im Auto", sagt Arp. "Aber wenn im Sommer mal die Sonne runterknallt, wird es in Autos sehr schnell sehr heiß." Je nach Außentemperatur können sich Autos dann schnell einmal auf über 60 Grad aufheizen. Etwa 40 tote Babys und Kleinkinder gebe es deswegen jährlich allein in Europa, so Arp.

Firmenporträt: Im Jahr 2020 ist Messring von Krailling nach Gilching umgezogen.

Im Jahr 2020 ist Messring von Krailling nach Gilching umgezogen.

(Foto: Georgine Treybal)
Firmenporträt: Die Firma baut die Anlagen nur noch, eigene Crashtests sind selten geworden.

Die Firma baut die Anlagen nur noch, eigene Crashtests sind selten geworden.

(Foto: Georgine Treybal)

"Kinderanwesenheitserkennungssystem" lautet das etwas unhandliche Stichwort der Ingenieure. Das Auto der Zukunft soll einen also auch davor bewahren, sein Kind im Wagen zu vergessen. Gerade im Zusammenhang mit autonom fahrenden Autos gewinnt solche Technik an Bedeutung. Damit die Autobauer bei VW, Mercedes, Tesla und Co. solche Systeme entwickeln können, brauchen sie die Testpuppen von Messring. Arp verrät zwar keine Namen, doch zum Kundenstamm des mittelständischen Unternehmens zählen "fast alle" großen Automobilkonzerne der Welt, so der 62-Jährige.

Die klassische Crashtest-Anlage macht allerdings immer noch das Hauptgeschäft aus. Hier ist die Gilchinger Firma, die bis 2020 ihren Sitz noch in Krailling hatte, Weltmarktführer. 140 Crashtest-Anlagen wurden schon auf dem ganzen Globus verkauft. In der chinesischen Millionenmetropole Chongqing hat man schon 2014 eine Tochterfirma gegründet, jetzt kommt eine weitere in Ann Arbor im US-Bundestaat Michigan dazu. Kein Zufall, denn in Ann Arbor gibt es über 200 Unternehmen im Mobilitätssektor, darunter Mercedes, Toyota, Ford, Mitsubishi, Chrysler und viele weitere. Zudem liegt die Wiege der amerikanischen Automobilindustrie, die "Motor City" Detroit, nicht weit entfernt.

Firmenporträt: Messring stellt auch Puppen her, die bei den Crashtests zum Einsatz kommen.

Messring stellt auch Puppen her, die bei den Crashtests zum Einsatz kommen.

(Foto: Georgine Treybal)

Auch der Zeitpunkt der Expansion ist kein Zufall: Wer sein Geld mit Sicherheitstechnologien im Mobilitätssektor verdient, dem kommen staatliche Sicherheitsauflagen gelegen. Denn wenn der Gesetzgeber beispielsweise keine Anschnallpflicht vorschreibt, werden die Autobauer auch keine Gurte einbauen - zumindest nicht in den USA. So hat die Senkung solcher Auflagen unter der Trump-Administration auch Messring das Geschäft erschwert. Die aktuelle US-Regierung legt hingegen wieder mehr Wert auf Verkehrssicherheit - deswegen nun die Expansion.

Entwickelt wird jedoch nur in Deutschland. Die Tochterfirmen im Ausland sind nur für die Montage und Wartung der Anlagen zuständig. "Die Chinesen haben das jetzt mittlerweile drauf", so der Geschäftsführer über die erste Expansion. Das hat große Vorteile, so müssen die Gilchinger Ingenieure nicht für jede Montage um die Welt fliegen. Und notfalls lassen sich viele Probleme auch per Videoschalte lösen, meint Unternehmenssprecher Alex Kiendl. Denn Corona und die politische Willkür der kommunistischen Partei machen auch das Reisen nach China zuweilen zu einer Herausforderung.

Auch deswegen wird der neue Standort nun in den Vereinigten Staaten gegründet. Trotzdem ist das Marktpotenzial in Asien deutlich größer als in Amerika: Zusätzlich zu den 174 Mitarbeitern in Deutschland beschäftigt Messring im chinesischen Chongqing 26 weitere, in Michigan sollen es hingegen nur zwei bis drei werden. Der asiatische Markt im Automobilsektor habe in den vergangenen zehn Jahren einen regelrechten "Boost" erlebt, so Arp.

20 Millionen Euro hat die teuerste Anlage bisher gekostet

Die USA sei, was Crashtest-Anlagen angeht, an sich gesättigt, "aber die Technik ist völlig veraltet", sagt der Geschäftsführer. "Es war immer in Planung, auch in den USA was aufzubauen, aber dafür muss man auch den Umsatz haben." Den kann das Unternehmen vorweisen: Mehr als 26 Millionen Euro setzte die Messring-Gruppe allein 2021 um. Für das vergangene Jahr 2022 gibt es noch keine Zahlen, jedoch dürften sie denen des Vorjahres ähneln. Drei bis fünf Crashtest-Anlagen werden jährlich verkauft. Je nach Kundenwunsch können diese kleiner oder größer ausfallen und mit verschiedener Technik ausgestattet werden. 20 Millionen Euro hat die teuerste Anlage bisher gekostet.

Dierk Arp ist zwar noch Geschäftsführer, seine eigenen Anteile am Unternehmen hat er jedoch bereits 2019 verkauft. Inzwischen befindet sich die Messring-Gruppe zu hundert Prozent im Besitz der Dieter-Murmann-Beteiligungsgesellschaft (DMB) aus Kiel. Von deren unternehmerischem Netzwerk und Infrastruktur in den USA profitiert nun auch Messring: Michigan beherbergt schon Büros von anderen Unternehmen der DMB. In den gleichen Gebäuden kann sich nun auch "Messring Inc.", so der Name der amerikanischen Tochter, einmieten. "Das hat es einfacher gemacht", sagt Arp.

So entwickelte sich das Unternehmen, das in Krailling 1968 damit begann, Autos kopfüber von einem Kran fallen zu lassen, zum Weltmarktführer bei Crashtest-Systemen. Die Anlagen werden in der Gilchinger Werkshalle jedoch nur noch zusammengebaut, getestet und verschickt. Eigene Autos zertrümmern die Gilchinger nur noch äußerst selten - ein bisschen zum Bedauern des Unternehmenssprechers. "Das wäre spaßig", sagt Alex Kiendl schmunzelnd.

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