Lesung in der Evangelischen Akademie:Unvernebelter Chronist

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Max Goldt liest in der Evangelischen Akademie in Tutzing aus seinen Erzählungen. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Der Titanic-Kolumnist, Sprachkritiker und Kleist-Preisträger Max Goldt gilt als witzigster Literat der deutschen Sprache. In Tutzing referiert er erstmals zum Thema "Ist Geschlechtergerechtigkeit allererste Sahne oder gequirlter Quark?".

Von Armin Greune, Tutzing

Journalistische Sorgfalt kann bei dieser Geschichte sicher nicht schaden. Die Kollegen von der Bild-Zeitung hat Max Goldt zur Jahrtausendwende als "gesellschaftlich absolut inakzeptabel" kategorisiert: "Es sind schlechte Menschen, die Falsches tun." Auch wenn der Musiker, Kolumnist und Schriftsteller die Starnberger SZ wohl nicht wie die Bild als "Organ der Niedertracht" einstufen würde, ist als Rezensent einer Lesung jede Vorsicht angesagt. "Ich gelte ja auch als Sprachkritiker", sagt Goldt am Dienstagabend in der Evangelischen Akademie in Tutzing, auch wenn seine diesbezüglichen Werke höchstens ein "kleines Reclam-Heftchen füllen könnten".

Schonungslos legt Goldt abgenudelte Phrasen, widersinnige Klischees und hohle Sprechblasen offen, die in den Medien kursieren. Im Musiksaal des Schlosses etwa seziert er "den alltäglichen Wahnsinn", wo man als "unvernebelter Chronist" ja gerade "Wahnsinnsferne und Katastrophenarmut" attestieren müsse. Oder die "Top-Banalität des deutschen Nachrichtenwesens: Die Dunkelziffer dürfte wesentlich höher liegen."

Mit Lesungen füllt der Autor seit Jahrzehnten mühelos die großen Säle

22 Jahre lang lieferte Goldt dem satirischen Nachrichtenmagazin Titanic hinreißend komische Kolumnen, die in der Kombination von alltäglichen Beobachtungen und haarscharfem Umgang mit der deutschen Sprache ein Novum war - vor allem auch der atemberaubenden und zwerchfellerschütternden Volten wegen, die der Inhalt seiner Betrachtungen schlug. Was 1989 als monatliches "Onkel Max' Kulturtagebuch" begann, reifte zu "Informationen für Erwachsene". Die 108 so entstandenen Texte erwiesen sich in gebundener Form und als Hörbuch als Longseller, mit Lesungen füllt der Autor seit Jahrzehnten mühelos die großen Säle der Städte.

Auch wenn das Haus fast ausverkauft ist, ermöglicht der hell erleuchtete Akademieraum eine viel nähere Begegnung von Autor und Zuhörern. Für Goldt, der sonst bei Lesungen oft mit Sonnenbrille auftritt, eine seltene Erfahrung, weil er im Dunkeln der Säle "das Publikum normalerweise nicht sieht" und so auf rein akustische Bestätigung angewiesen ist. Wer erwartet hat, dass der Kolumnist bei unzähligen Lesereisen bewährte Lacherfolge vorträgt, hat sich in ihm getäuscht, jedes der angeschlagene Themen weist aktuelle Bezüge auf. Die Texte "Strichjungentochter" oder "Ist Geschlechtergerechtigkeit allererste Sahne oder gequirlter Quark" feiern in Tutzing in dieser Form sogar Premiere. Als zweiseitige Bildergeschichte sind Teile dieses Plots Titanic-Lesern freilich schon bekannt. Seit 1996 arbeitet das Comicduo Katz&Goldt zusammen; die Szenarien entwerfen sie gemeinsam, Stephan Katz zeichnet, Goldt schreibt. Manche Comic-Strips erweitert er auch zu kleinen Erzählungen, von denen er einige in Tutzing vorträgt. Das weibliche Äquivalent des Hurensohns führt über Umwege ins "Edelgas-Erlebniszentrum Kötzschenbroda" , wo Besuchern nach dem Inhalieren Visionen drohen, den Zuhörern im Saal hingegen Lachanfälle.

Sehr komisch ist auch die Reportage, für die Goldt an der Seite eines Journalisten eine Pressereise nach Katar unternimmt. In den Fängen einer "Madame" der katarischen Tourismusbehörde verbringt der Autor quälende Stunden in Luxushotels und auf Besichtigungstouren. Beim Besuch in einem OP für Jagdfalken keimt in ihm kurz der Gedanke auf, "in den aufgeschnittenen 100 000-Euro-Wanst zu speien". Vergebens aber grübelt Goldt darüber nach, wie man deutsche Touristenfamilien für den Wüstenstaat gewinnen könnte: Mit einer Landschaft, "wo alles fehlt, was in der Welt gut und herrlich ist" und einer Jugend, deren größtes Vergnügen im dune bashing, also "der Vergewaltigung von Sandhügeln" besteht?

Als simpler Lokalreporter will man sich gar nicht trauen, Goldts Formulierkunst zu bewerten. Man kann es Daniel Kehlmann überlassen, der anlässlich der Kleist-Preis-Verleihung 2010 zusammenfasste: "Seine Werke sind klug und klar, unaufdringlich moralisch - und vor allem das Witzigste, was die deutsche Literatur zu bieten hat." Das gilt auch und gerade für Goldts Gastspiel in Tutzing.

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