Literatur und KunstGroßspuriger Lebensstil, aber immer knapp bei Kasse

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Matthias Gasteiger mit seinem Sohn Egir, genannt Hans  (1898). Nach der Scheidung bot der Bildhauer seiner ersten Frau Bertha an, ihr die Erziehung des Vierjährigen zu überlassen – wenn ihre Familie im Gegenzug eine Hypothek übernimmt.
Matthias Gasteiger mit seinem Sohn Egir, genannt Hans  (1898). Nach der Scheidung bot der Bildhauer seiner ersten Frau Bertha an, ihr die Erziehung des Vierjährigen zu überlassen – wenn ihre Familie im Gegenzug eine Hypothek übernimmt. (Foto: Foto: Bayerische Schlösserverwaltung)

Mathias Gasteiger war nicht nur Bildhauer, sondern auch Geschäftsmann. Dennoch hinterließ er seiner Frau Anna einen Berg Schulden. Zur neuen Saison im Künstlerhaus am Ammersee ist nun eine reich bebilderte Biografie über das Uttinger Paar erschienen.

Von Armin Greune, Utting

Er leitete eine private Kunstschule, schuf Brunnen und Statuen in Kleinserien, fertigte Grabsteine nach den Wünschen der Kundschaft. Der Bildhauer Mathias Gasteiger wandte moderne Techniken an, um die Produktivität zu erhöhen. Um auf dem Markt zu bestehen, setzte er auf raffinierte Verkaufsstrategien und betrieb eifrig Werbung. Als Geschäftsmann kaufte er Steinbrüche in Franken und Südtirol, stieg zeitweise sogar zum größten Marmorproduzenten Deutschlands auf und lieferte ganze Hausfassaden bis nach Australien.

Lange galt Gasteiger deshalb als gewiefter Unternehmer. Tatsächlich aber stand er zeitlebens immer wieder kurz vor dem Bankrott. Als er 1934 starb, hinterließ er seiner zweiten Frau Anna neben unverkauften Statuen vor allem einen Berg Schulden. Der Malerin gelang es wundersamerweise dennoch, das Domizil in Holzhausen am Ammersee zu behalten, wo sie fortan lebte und malte.

Kurator Thorsten Marr hat jetzt für die Schlösser- und Seenverwaltung ein Soft-Cover-Buch zusammengestellt, um das künstlerische Wirken von Anna und Mathias Gasteiger zu würdigen. Doch zwischen exemplarisch präsentierten Gemälden und Bildhauereien scheinen auch biografische Details des Künstlerpaars durch: Das Leben der Gasteigers war offenbar von steten Finanznöten geprägt. Schon bevor Anna Meyer ihren späteren Ehemann kennenlernte, stand Mathias Gasteiger wiederholt kurz vor dem Ruin. Nachdem er 1894 die Tutzingerin Bertha Schüssel geheiratet hatte, mussten zunächst seine Mutter und dann ihr Vater eine Reihe von Gläubigern beschwichtigen. Mehrmals pfändete der Gerichtsvollzieher Skulpturen oder private Wertgegenstände, die wieder ausgelöst werden mussten.

Dabei war Mathias Gasteiger schnell zu künstlerischer Anerkennung und allgemeiner Bekanntheit gelangt. Bereits mit 13 Jahren hatte er eine Steinmetzlehre aufgenommen und dann Bildhauerei studiert. Als 21-Jähriger reichte er seine Abschlussarbeit an der Münchener Akademie für bildende Künste ein: Die Brunnengruppe „Satyr und Knabe“ wurde 1892 im Münchener Glaspalast ausgestellt und ausgezeichnet. In den Jahren danach wurde die naturalistische Arbeit auch in Berlin und Wien präsentiert und prämiert – und schwebte doch immer wieder in Gefahr, dem Gerichtsvollzieher in die Hände zu fallen.

Seine erste Frau Bertha bescheinigte Mathias Gasteiger ein „äußerst fesches Aussehen“. Doch die Ehe hielt keine vier Jahre, der Bildhauer heiratete seine Schülerin Anna.
Seine erste Frau Bertha bescheinigte Mathias Gasteiger ein „äußerst fesches Aussehen“. Doch die Ehe hielt keine vier Jahre, der Bildhauer heiratete seine Schülerin Anna. (Foto: Foto: Kgl. Bayerischer Hofphotograph Franz Werner)
Auf dem kleinen Friedhof der Kirche St. Ulrich in Holzhausen sind Mathias Gasteiger und seine Frau Anna Sofie bestattet.
Auf dem kleinen Friedhof der Kirche St. Ulrich in Holzhausen sind Mathias Gasteiger und seine Frau Anna Sofie bestattet. (Foto: Foto: Nila Thiel)

Erst als Karl Schüssel dem angehenden Schwiegersohn 3000 Mark zukommen ließ, konnte Gasteiger einen Brunnen der Stadt München überlassen, die Aufbau und Wasserbecken finanzierte. „Satyr und Knabe“ fand 1895 in den damaligen Grünanlagen am Stachus Platz und stand bald im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses: Der Münchner Polizeipräsident fand im unbedeckten Glied des Knaben einen Stein des Anstoßes, was die Presse dankbar aufgriff. Der Streit zwischen Tugendwächtern und Verfechtern der (künstlerischen) Freiheit brachte dem „Brunnenbuberl“ viel Popularität und dem „Skandal-Künstler“ einige Aufträge ein. Das Figurenensemble fertigte Gasteiger im Laufe der Jahre häufiger an, es ist heute noch an mindestens zehn Orten aufgestellt.

Das „Brunnenbuberl“ am Münchner Stachus von Mathias Gasteiger, hier auf einer Postkarte von 1910.
Das „Brunnenbuberl“ am Münchner Stachus von Mathias Gasteiger, hier auf einer Postkarte von 1910. (Foto: Foto: Bayerische Schlösserverwaltung/oh)

Seinen andauernden Zahlungsschwierigkeiten zum Trotz kaufte der Bildhauer – inzwischen zweimal Vater geworden – im Herbst 1896 Schloss Deutenhofen bei Dachau. Er wollte dort mit dem Maler Julius Exter eine Schule für Malerinnen und Maler gründen, Gasteiger hielt dies wohl für eine verlässliche Einkommensquelle. Seine Familie zog zwar mit um auf das Anwesen, aber Bertha Gasteiger „litt an der ihr zugewiesenen Rolle als Pensionsleiterin“, wie Marr schreibt. Vielleicht aber schmerzte sie es noch mehr mitanzusehen, wie sich die Schülerin Anna Mayer mit ihrem Mann vergnügte. Am schlimmsten aber traf sie sicher der Tod des zweiten Sohnes, der nur ein Jahr alt wurde.

Jedenfalls kam es nur fünf Monate nach dem Umzug ins Dachauer Land zum finalen Streit, und Bertha kehrte in die Tutzinger Villa der Eltern zurück. Im Mai 1898 wurde das Paar geschieden, im November des gleichen Jahres heiratete der Künstler seine Schülerin Anna Meyer, die Tochter eines Sägewerksbesitzers in Lübeck. Dies brachte Gasteiger eine satte Mitgift von 12000 Mark ein, die auch „nach einigen Monaten bald draufging“, wie Berta Schüssel in einem Brief feststellt, aus dem Marr zitiert. Als wieder mal ein Kredit platzte, sollte Schloss Deutenhausen im Sommer 1899 schon versteigert werden, der Schulbetrieb lief dort gerade einmal zwei Jahre.

Museumsreferent Thorsten Marr präsentiert sein neuestes Werk über die Künstlerfamilie Gasteiger.
Museumsreferent Thorsten Marr präsentiert sein neuestes Werk über die Künstlerfamilie Gasteiger. (Foto: Foto: Nila Thiel)

Um das Schlimmste zu vermeiden, war Mathias sogar bereit, gewissermaßen seinen Sohn zu verkaufen: Gegen die Übernahme einer Hypothek für das Schloss bot er Bertha an, ihr die Erziehung des damals vierjährigen Egir dauerhaft zu überlassen. Ex-Schwiegervater Karl Schüssel zahlte daraufhin tatsächlich die geforderten 24000 Mark, was nach heutiger Kaufkraft 200 000 Euro entsprechen dürfte. Doch nachdem Gasteiger im folgenden Sommer den Sohn vier Wochen lang zu Besuch hatte, verlangte er erneut „Lösegeld“, um einen Kredit bedienen zu können, berichtet Marr. Obwohl der Bildhauer einige Werke verkaufen konnte, gelang es ihm nicht, die endgültige Schlossversteigerung im Jahr 1901 zu verhindern. Der Gläubiger Schüssel ging dabei leer aus.

Gasteiger aber hegte schon neue ehrgeizige Immobilienpläne. Von 1901 an hatte er eine städtische Grünfläche an der Münchener Dantestraße gepachtet, auf der eine beeindruckende Verkaufsausstellung entstehen sollte. Zuerst ließ er ein Gebäude mit drei Ateliers errichten, binnen eines Jahres folgte ein Anbau, bis 1908 kamen noch zwei Erweiterungen hinzu. Folgt man Marrs Ausführungen, hatte Gasteiger den Standort im seinerzeit neuen Stadtteil Nymphenburg nach marktstrategischen Überlegungen ausgewählt: Der gerade eröffnete Westfriedhof gleich vor der Tür verhieß Einnahmen mit der Gestaltung von Grabmälern.

Mathias Gasteiger war nicht nur Bildhauer, sondern auch Geschäftsmann. Der gerade eröffnete Münchner Westfriedhof verhieß Einnahmen mit der Gestaltung von Grabmälern.
Mathias Gasteiger war nicht nur Bildhauer, sondern auch Geschäftsmann. Der gerade eröffnete Münchner Westfriedhof verhieß Einnahmen mit der Gestaltung von Grabmälern. (Foto: Foto: Bayerische Schlösserverwaltung/oh)

Stets war der Bildhauer bereit, sein Sortiment nach dem Markt auszurichten. Im Atelier stellte er fertige Statuen, Modelle und Aquarellentwürfe aus. Um den Absatz anzukurbeln, warb Gasteiger mit Zeitungsinseraten, erstellte Prospekte und einen Katalog, wofür er die Fotografien im eigenen Studio entwickelte. Dennoch blieb der wirtschaftliche Erfolg überschaubar. Aber immerhin ist ein Mausoleum von ihm auf dem Ostfriedhof erhalten geblieben, in dem inzwischen Rudolph Moshammer ruht.

Gasteiger erwies sich als findig, Kosten und Aufwand seiner Arbeiten zu minimieren und möglichst viel in Serie zu produzieren. Immer wieder fertigte er Reproduktionen eigener Werke an. Statt sie mühsam aus dem Stein zu meißeln, ließ er sie in Kunststein oder Gips gießen und übermalte sie dann, um Stein- oder Bronze zu imitieren. Augenscheinliche Bronzefiguren wurden somit viel billiger als Galvanoplastik aus Gips mit einer dünnen Kupferschicht hergestellt. Während immer mehr Steinsägewerke mit Grabsteinen von der Stange auf den Bestattungsmarkt drängten, kaufte Gasteiger 1904 seinen ersten Steinbruch in Treuchtlingen, wo Jura-Marmor abgebaut wurde.

Repräsentativer Landsitz: die Gasteiger-Villa im Uttinger Ortsteil Holzhausen.
Repräsentativer Landsitz: die Gasteiger-Villa im Uttinger Ortsteil Holzhausen. (Foto: Foto: Nila Thiel)

Während das Atelier in Nymphenburg stetig ausgebaut wurde, wollte er am Ammersee einen repräsentativen Landsitz schaffen. 1902 erwarb Gasteiger das erste Seegrundstück im Uttinger Ortsteil Holzhausen, dem angrenzende Parzellen folgten. 1908 wurde dort ein kleines Wohnhaus errichtet, das bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs um Küche, Speisekammer, Bad, ein Atelier und einen großzügigen Salon erweitert wurde. Die Familie - 1900 war Tochter Irene zur Welt gekommen – genoss dort im Sommer Natur und Garten, Mathias segelte gern auf dem Ammersee. Seine finanzielle Situation aber blieb angespannt: Gasteiger geriet in die Schuldenfalle und an einen Kredithai, aus dessen Fängen er sich 1912 nur mithilfe seiner Schwester Marie befreien konnte. 1915 griff sie ihm mit dem Pro-Forma-Kauf von Grabsteinen erneut unter die Arme. Dessen ungeachtet träumte der Bildhauer schon von einer zweistöckigen Villa, die er neben dem Landhaus in Holzhausen errichten wollte. Die blieb allerdings ein Luftschloss. Stattdessen ließ Gasteiger 1921 ein neues Ateliergebäude in der Münchener Waisenhausstraße bauen.

Seine Bausucht war sicher einer der Hauptgründe für den Schuldenhaufen, den das Künstlerpaar ständig vor sich herschob. Andererseits war man wohl auch einem großspurigen Lebensstil nicht gerade abgeneigt. Zwar finden sich dazu in Marrs Buch nur wenige Hinweise, en passant wird jedoch erwähnt, dass sich Anna und Mathias etwa eine mehrmonatige Hochzeitsreise nach Paris leisteten.

Anna Gasteiger im Atelier aus dem Fotoalbum Mathias Gasteigers. Seine Frau Anna-Sophie verdiente ihren Unterhalt im Künstlerhaus am Ammersee auch durch Blumen-Stillleben.
Anna Gasteiger im Atelier aus dem Fotoalbum Mathias Gasteigers. Seine Frau Anna-Sophie verdiente ihren Unterhalt im Künstlerhaus am Ammersee auch durch Blumen-Stillleben. (Foto: Bayerische Schlösserverwaltung/oh)
Als wäre die Zeit stehen geblieben: Das Wohnzimmer der Villa Gasteiger.
Als wäre die Zeit stehen geblieben: Das Wohnzimmer der Villa Gasteiger. (Foto: Foto: Nila Thiel)

Nach dem Tod ihres Mannes 1934 lebte die Witwe in Holzhausen freilich keineswegs auf großem Fuß, selbst wenn sie sich mit den Originalen und Reproduktionen ihrer Blumen-Stillleben meist ein beständiges Einkommen sichern konnte. Und in Notzeiten bot das vier Hektar große Grundstück genug Raum zur Subsistenzwirtschaft – eine Wirtschaftsweise mit dem Ziel einer Selbstversorgung – um zur Ernährung der Bewohner beizutragen, bis 1954 Anna starb. 30 Jahre später vermachte ihre Tochter Irene Faber-Gasteiger das Künstleranwesen dem Freistaat.

Thorsten Marr ist seit 2007 in der Bayerischen Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen als Kurator und Museumsreferent unter anderem für das Gasteiger-Haus zuständig. Zur nun anstehenden Pensionierung hat er ein kartoniertes, 104-seitiges Buch über das Künstlerpaar verfasst. Unter dem Titel „Mathias und Anna Gasteiger. Ein Münchner Künstlerpaar vor, zwischen und nach den Weltkriegen“ ist es zum Preis von 13,90 Euro bei der Schlösserverwaltung oder im Buchhandel erhältlich.

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