Süddeutsche Zeitung

Marode Kirche in Starnberg:In St. Stephan läuten die Alarmglocken

Lesezeit: 3 min

Risse am Fenster, bröckelnder Putz am Turm: Der Dachstuhl der Kirche in Söcking ist marode und drückt die Mauern weg. Wenn nichts passiert, könnten sie auf absehbare Zeit einstürzen.

Von Peter Haacke, Starnberg

Als wahres Kleinod unter bayerischen Gotteshäusern gilt St. Stephan in Starnberg: Katholische wie evangelische Christen schätzen die eher bescheiden anmutende Kirche in Söcking, die dem Ort schon seit Jahrhunderten ein Gesicht gibt. Hochzeiten und Taufen werden hier seit Generationen ebenso zelebriert wie Trauerfeiern. Doch wenn die Glocken läuten, klingt das für Eugen Hartmann von der Kirchenverwaltung und Kirchenpfleger Wolfgang Wittmann fast schon wie ein Alarmzeichen. Grund: Der Dachstuhl ist marode. Feuchtigkeit zersetzt das alte Gebälk und drückt die Mauern nach außen. "Wenn hier in den nächsten fünf Jahren nichts passiert", sagt Hartmann, "dann stürzen die Mauern ein."

Im Herbst hatten die beiden Pensionäre vertikale Risse in den Fensterachsen der Außenfassade entdeckt, auf der Westseite des Glockenturms bröselt der Putz. Doch auch im Innern zeigen sich Risse - untrügliche Zeichen dafür, dass sich etwas bewegt. Hartmann, einst Dozent für Energie- und Gebäudetechnik, und Wittmann, ehemaliger Vermessungsingenieur, informierten umgehend die Diözese Augsburg. Kurz darauf fand ein Gutachter im Auftrag der Bischöflichen Finanzkammer die Ursache des Übels: Eindringende Feuchtigkeit vor allem auf der Nordseite zersetzt das Holz des Dachstuhls - mit fatalen Folgen.

Der enorme Gewichtsdruck auf die Außenmauern nimmt zu. Auf der Südseite der Kirche ist die Mauer drei Zentimeter aus dem Lot, auf der Nordseite sind es bereits sechs Zentimeter. Das System befinde sich gerade noch im Gleichgewicht, befand der Experte. Doch die tief klaffenden Fugen in den Außenwänden in Kombination mit Zug- und Spannkräften werde durch Eigengewicht, Schnee und Wind zu einer Überlastung der Konstruktion führen; die Verformungen werden sich fortsetzen. Streben und Kehlbalken wirken zusammen wie ein Sprengwerk, heißt es im Gutachten, der Dachstuhl spreizt sich.

Die kleine Kirche, die auf Beschluss des Stadtrats im kommenden Jahr für rund eine Viertelmillion Euro auch barrierefrei gemacht werden soll, hat im Lauf der Jahrhunderte schon viel gesehen. Wann genau sie erbaut wurde, lässt sich geschichtlich nicht nachvollziehen. Einzige Quelle ist bislang ein Schriftwechsel aus dem Jahr 1593 zwischen dem Maler Sigmundt Hebenstreidt aus München und Herzog Wilhelm V., aus dem zu erfahren ist, dass Hebenstreidt Altarbilder und Statuen in der St.-Stephan-Kirche in "Sekhing" restauriert hat. Die Schweden sollen Söcking im Dreißigjährigen Krieg (1618 bis 1648) gleich zweimal geplündert haben; sehr wahrscheinlich haben sie auch die Kirche nicht verschont.

Das ursprüngliche Gebäude stammt möglicherweise aus dem 15. Jahrhundert. Im Dachstuhl findet sich die eingeschlagene Jahreszahl 1752. Das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege führt das Stephanskircherl unter dem Aktenzeichen D-1-88-139-109: "Bismarckstraße 2. Ehemalige Katholische Pfarrkirche St. Stephan, jetzt evangelisch-lutherisch. Saalbau, wohl 17. Jahrhundert, 1864 umgebaut, mit Ausstattung; umliegender historischer Dorffriedhof." Vermutet werden im Bereich der Kirche verborgene Reste mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Befunde. Die Kirche, so wie sie heute steht, gehört im Wesentlichen dem 18. Jahrhundert an, ist im Kern aber wohl mittelalterlich.

Während der letzten Renovierung 1977 bis 1980 kamen Reste gotischer Bauteile und Fresken zum Vorschein. Dabei war das Dach von St. Stephan im Bereich des Altars saniert worden: Solider Stahl stützt seitdem die Konstruktion. Doch im Bereich des Langhauses verfällt das Holz weiter. Wer sich über das Ausmaß des Schadens ein Bild machen will, muss sich über schmale Treppen nach oben winden. Einen wenig vertrauenerweckenden Eindruck macht auch das Treppenhaus zum Glockenturm. Die Mechanik, die Uhr und Schlagwerk antreibt, ist rund 60 Jahre alt und sollte ebenfalls erneuert werden.

Eine Komplettsanierung des Dachstuhls, so hat es der Gutachter geschätzt, wird rund 750 000 Euro kosten. 60 Prozent davon übernimmt die Diözese Augsburg, der Rest - also 300 000 Euro - muss anders aufgebracht werden. Doch durch Umbau und Sanierung der 1958 geweihten Kirche St. Ulrich, an dem die Stadt sich ebenfalls finanziell beteiligt, sind die Kassen der Pfarrei und der Kirchenstiftung leer. Man hofft daher auf Unterstützung - durch die Stadt, die evangelische Kirche und Spenden. Ob sich auch das Landesamt für Denkmalschutz an der Sanierung beteiligen wird, ist unklar. Dass St. Stephan die gesetzlichen Voraussetzungen des Denkmalschutzgesetzes erfüllt, ist ohnehin unstrittig. Hier heißt es: "Denkmäler sind von Menschen geschaffene Sachen oder Teile davon aus vergangener Zeit, deren Erhaltung wegen ihrer geschichtlichen, künstlerischen, städtebaulichen, wissenschaftlichen oder volkskundlichen Bedeutung im Interesse der Allgemeinheit liegt."

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Quelle:
SZ vom 19.12.2018
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