In dem Film "Das fünfte Element" von Luc Besson gehören sie zum Stadtbild: Lufttaxis, die weit über dem Boden durch die Straßenschluchten zwischen den Häusern flitzen. In seiner Rolle als Korben Dallas im Jahr 2263 ist Bruce Willis in so einem Science-Fiction-Gefährt unterwegs. "Genau so", sagt Lutz May, müsse man sich seine Idee auch vorstellen. Er ist 72 Jahre alt, ein weit gereister Erfinder mit zahllosen Patenten und tüftelt in seinem Büro in Starnberg gerade an neuartigen Magnetfeld-Antrieben, die tatsächlich an Science Fiction erinnern. Der Vergleich mit dem Film erscheint ihm nicht zu gewagt. Star Wars fällt ihm dazu auch ein oder auch das Hoverboard von Marty McFly in "Zurück in die Zukunft". Nur: Das schwebende Skateboard ist ein Fantasieprodukt, Mays Magnetantrieb funktioniert im kleinen Maßstab tatsächlich. Und der Entwickler meint: "Das wird einmal der Antrieb der Zukunft - für alles."
In der dritten Etage eines Bürogebäudes am Rande des Starnberger Gewerbegebiets befindet sich der Sitz seiner Firma Tomorrow's Motion, kurz: Tomo. Es ist eine Mischung aus Büro, Feinmechanik-Werkstatt und Versuchslabor. Vor Mays Schreibtisch hängt an einem Faden eine etwas eigenartige Konstruktion von der Decke: ein Alustab, an dem eine große Spule befestigt ist, außerdem eine Platine mit elektronischen Bauteilen und ein Akku. Ein paar Befehle am Computer, ein grünes und ein rotes Lämpchen auf der Platine beginnen zu blinken, ein leises Sirren erklingt - und dann fängt das Gebilde an zu schaukeln, wie von Geisterhand. Die abgedroschene Floskel, hier trifft sie zu. Es gibt keinen Motor, keinen Propeller, keine beweglichen Teile. Nur Magnetkraft. Und Bewegung.
"Magnetic Cloud Acceleration", kurz MCA nennt May diese Technologie. Vereinfacht ausgedrückt wird hier der Rückstoß von Magnetfeldern genutzt, die blitzschnell aus- und eingeschaltet werden, der Vorgang wird mehrere Millionen Mal pro Sekunde wiederholt. Der Bewegungsimpuls, der dabei entsteht, muss dann noch in eine bestimmte Richtung gedrückt werden. Und das ist in Starnberg schon gelungen. Der Erfinder dieser Technik traut ihr einiges zu. Tiefstapelei ist seine Sache nicht. Die Antriebstechnologien, die seine Firma entwickle, "haben das Potenzial, die Welt der Mobilität komplett zu verändern", erklärt er. "Alles, was sich bewegen kann, kann mit der MCA-Technologie das Fliegen lernen", heißt es in einem Imagefilm der Firma.
Kleine Modellboote lassen sich mit der Technik schon über ein Wasserbassin steuern
Kleine Modellboote fahren schon damit. May führt das in einem kleinen Wasserbassin in einem weiteren Raum vor. Diesmal ist die Drahtwicklung auf einen schwimmenden Metalltopf montiert. Wieder ein paar Befehle, ermunternde Worte des Erfinders ("na komm schon"), und wieder blinken kleine Lämpchen. Und das Konstrukt bewegt sich ohne Motor im klassischen Sinn. Es gibt keine versteckten Schnüre, nichts, womit sich das Versuchsboot sonst bewegen ließe. Im Gegenteil: Die Entwickler tun alles, um äußere Einflüsse zu vermeiden. Eine Gummimatte am Boden zum Beispiel verhindert statische Aufladungen, die Wanne ist gedämmt, damit nicht durch Temperaturunterschiede eine Strömung entsteht. UV-Strahlung verhindert Keimbildung auf der Wasseroberfläche. Auf einer Erfindermesse in Genf ging einmal gar nichts, weil sich die gesamte Versuchsanordnung statisch aufgeladen hatte. Es hat lange gedauert, den Fehler zu finden; so etwas soll nicht noch einmal passieren.
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Was wie eine Spielerei aussieht, könnte schon in absehbarer Zeit zu einer praktischen Anwendung werden: In Form von Bojen auf dem Starnberger See, die etwa für eine Regatta an eine vorgegebene Position manövriert werden und dort auch bleiben. Ohne Befestigung, ohne Motor, nur mit Magnetkraft. Im kommenden Jahr will May ein mit dieser Technologie ausgestattetes Boot auf dem See fahren lassen. "Poseidon-Projekt", nennt er das. In den Firmenräumen steht schon ein halbes Dutzend kleiner Modelle mit unterschiedlich angeordneten Spulen. Der Antrieb für Objekte im Weltraum wie etwa Satelliten könne in vier bis fünf Jahren möglich sein, glaubt May. "Jetzt erobern wir die Lüfte. Neue Galaxien werden zum Greifen nah. Wir schaffen neue Transportmöglichkeiten; völlig neue Welten entstehen", heißt es im Firmenvideo, das auch auf Youtube zu sehen ist. Allzu bescheiden ist das nicht.
Aus seiner langen beruflichen Laufbahn kennt May das schon, dass seine Ideen zunächst für Spinnereien gehalten werden. Seine Frau sage, er sei zu früh dran mit seinen Ideen. Diesmal traute er selbst seiner Entdeckung wohl nicht ganz: "Wir haben zwei Jahre geforscht, um sicher zu sein, dass es den magnetischen Antrieb tatsächlich gibt, dass er funktioniert, und dass er ausbaufähig ist."
Als Chemielaborant in Wiesbaden hatte er angefangen, später als Tontechniker beim ZDF gearbeitet. Er hat Physik und Elektronik studiert, war Redakteur bei einer Fachzeitschrift in München war viele Jahre mit seiner fünfköpfigen Familie in den USA, hat mehrere Firmen gegründet und verkauft. "Ich war der erste, der einen Mikroprozessor in Waschmaschinen integriert hat", erzählt er. Er habe einen Sensor für Airbags entwickelt und "aus Versehen" einen Drehmoment-Sensor erfunden. Seine Firma beliefert die Formel 1 mit umfunktionierten Akku-Schraubern, die dazu dienen, die Spoiler an den Rennwagen sehr schnell und präzise genau richtig einzustellen.
Und für seine neueste Technologie erhält der Starnberger Erfinder staatliches Fördergeld. In einem auf drei Jahre angelegten Programm gibt es 600 000 Euro vom Bayerischen Wirtschaftsministerium. Die Aufgabe ist es, den Nachweis zu führen, dass die Magnettechnologie funktioniert. Die Firma Tomo arbeitet dabei mit der Technischen Universität in Garching zusammen, wo Hans-Georg Herzog eine Professur für Energiewandlungstechnik hat. Auch der Wissenschaftler traut dem Starnberger Erfinder einiges zu. "Das Potenzial des Antriebs ist gigantisch", sagte Herzog vor laufender Kamera für einen Fernsehbeitrag über das kleine Unternehmen.
Erste Interessenten aus der Luft- und Raumfahrt haben sich schon bei May gemeldet. Bis die neuartigen Antriebe tatsächlich eingesetzt werden, steht aber noch viel Arbeit bevor. Daher sucht der Starnberger Tüftler Unternehmen, die ihn bei seiner Forschungsarbeit unterstützen können. Mehr Leistung, weniger Gewicht, das sind gerade die Herausforderungen. Tausende Experimente sind dafür notwendig, pro Tag bis zu 20 Versuche, die penibel im Computer dokumentiert werden. "Es ist ein Geduldsspiel", sagt May über die oft langwierige und knifflige Suche nach Fehlerquellen und Lösungen. Ein Spiel jedoch, das dem 72-Jährigen offenbar Spaß macht. "In der Regel, wenn ich aus dem Weihnachtsurlaub zurück komme, habe ich zwei Patente geschrieben", erzählt er. "Zur Entspannung."
An der Wand im Büro hängen zwei Patente aus China und den USA für seine Magnet-Technologie, die erst im Sommer dieses Jahres ausgestellt wurden. Dazwischen hängt eine Collage, die seine Tochter angefertigt hat, die in Thailand lebt. Lutz May ist darauf zu sehen - auf einem Bild das aussieht wie ein Filmplakat für "Zurück in die Zukunft".