Politik:Warum Olaf Scholz Bundeskanzler werden könnte

Prof. Dirk Berg-Schlosser leitet die SPD in Wörthsee

"Man kann lokal eine Menge bewegen, und wenn es nur ein Verkehrsspiegel ist", sagt der Wörthseer SPD-Chef Dirk Berg-Schlosser.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

.Der inzwischen emeritierte Politikwissenschaftler Dirk Berg-Schlosser hat vor 50 Jahren den kleinen Ortsverein der Sozialdemokraten in Wörthsee begründet. Trotz aller SPD-Tiefs bleibt er optimistisch - auch im Hinblick auf die Bundestagswahl.

Interview von Christine Setzwein

Dirk Berg-Schlosser ist emeritierter Politikwissenschaftler. Wer Politik studiert, kommt um die Publikationen des heute 77-Jährigen nicht herum. Sie sind quasi Pflichtlektüre. Vor 50 Jahren hat der gebürtige Brandenburger, der aus einem eher konservativ-liberalen Elternhaus kommt, in Wörthsee den SPD-Ortsverein mitbegründet und wurde Gemeinderat. Jüngst ist er als Ortsvorsitzender wiedergewählt worden. Im Interview erzählt er, warum es die SPD sein musste, warum er trotz aller Hochs und Tiefs der Partei die Treue hält und warum Olaf Scholz Bundeskanzler werden könnte.

SZ: Bitte vervollständigen Sie den Satz: Die SPD ist . . .

Dirk Berg-Schlosser: . . . die älteste demokratische Partei Deutschlands, allerdings derzeit in schwerem Fahrwasser.

Kommt sie da wieder raus?

Na ja, man soll die Hoffnung nie verlieren. Da kommen mehrere Dinge zusammen. Zum einen gibt es einen langfristigen Trend, dass traditionelle Sozialmilieus geringer werden oder fast verschwunden sind. Das trifft im Grunde alle Parteien, aber besonders auch sehr stark die SPD und die klassische SPD-Wählerschaft im Ruhrgebiet und anderswo. In Bayern hatte sie immer schon einen schweren Stand, weil hier lange Zeit ein ländlich-katholisches Milieu überwogen hat. Es kommen aber auch selbst verschuldete Dinge hinzu wie parteiinterne Querelen, die haben uns definitiv geschadet. Auch die GroKo hat der SPD nicht gutgetan, obwohl die einzelnen Minister für die relativen Erfolge der letzten Periode verantwortlich sind. Aber nach außen hin hat das nicht gewirkt.

Und wenn Krisen das Land beuteln . . .

. . . nimmt die Verunsicherung in der Bevölkerung stark zu, wie die Pandemie zeigt. Unsicherheit wirkt sich auch auf das Wahlverhalten aus. Viele sind noch unentschieden. In solchen Situationen kommt es sehr stark auf Personen an. An denen können sich Bürger besser orientieren, ob sie Vertrauen zu ihnen haben, ob sie ihnen Kompetenz zubilligen, ob sie sie für integer halten und nicht für korrumpierbar. Diese Kriterien können Menschen besser abwägen als tägliche Nachrichten über Inzidenzwerte. Da hat Olaf Scholz bisher eine gute Figur gemacht. Der ehemalige SZ-Chefredakteur Kurt Kister hat über die anderen beiden Kandidaten geschrieben, es gäbe eine Wahl zwischen einem Karnevalsprinzen und einer Selbstüberschätzerin. Das kann Olaf Scholz zugutekommen.

Der Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin kann nicht direkt gewählt werden.

Aber wenn man sich die möglichen Koalitionsbildungen realistisch anschaut: Rot-rot-grün scheitert schon arithmetisch, ganz abgesehen vom Inhaltlichen vor allem in der Außenpolitik. Die rechnerisch wahrscheinlichste Koalition wäre Schwarz-Grün, allerdings dann mit einem Unionskanzler. Dass Baerbock Kanzlerin wird, halte ich nach allem, was passiert ist, für ausgeschlossen. Eine durchaus realistische Möglichkeit ist eine Ampel, aber dann unter Führung der SPD. Wenn die SPD ein, zwei Punkte zulegt, ist das durchaus in Reichweite. Die FDP würde sich schwertun, aber Lindner möchte ja wieder mitregieren.

Kommen wir in die Niederungen der Kommunalpolitik. Sie haben den SPD-Ortsverein Wörthsee mitbegründet?

Ja, das war nach der Gebietsreform in den 1970-er Jahren, dann war ich auch im Gemeinderat.

Warum die SPD?

Es war kurz nach dem Misstrauensvotum gegen Willy Brandt, das ganz knapp ausging. Brandt blieb Kanzler, und es kam zu den "Willy-Wahlen" im Herbst 1972. Kurz davor bin ich eingetreten.

Und haben gleich einen SPD-Ortsverein in einem Dorf gegründet?

Ich war der Meinung, dass hier in der bayerischen SPD-Diaspora Flagge gezeigt werden musste. Mit nur zwei SPD-Gemeinderäten von 16 konnten wir zu mehr Transparenz beitragen. Einer war im Finanzausschuss und einer im Bauausschuss. Da konnten dann Dinge, die vorher nur ausgemauschelt wurden, sichtbar gemacht werden. Das führte zu einer entscheidenden Wende in der gesamten Einstellung im Gemeinderat, aber auch in der Bevölkerung.

Sind Sie als Sozi angefeindet worden?

Ja, am Anfang gab es schon dumme Sprüche wie: Ihr roten Hunde schleicht's euch. Wenn ich mit meinen Kindern unser SPD-Blattl ausgetragen habe, waren wir nicht immer willkommen. Aber da mussten wir und die anderen durch. Im Lauf der Zeit hat sich das entspannt, haben auch politische Gegner gemerkt, das sind Menschen, mit denen man vernünftig umgehen und sachlich über Dinge reden kann. Wer uns früh unterstützt hatte, war Pfarrer Schnitzler. Er hat uns die Pfarrwiese für ein Sommerfest zur Verfügung gestellt. Da waren schon einige aus der CSU empört, wie der katholische Pfarrer so etwas machen kann. In der Freinacht wurde dann an der Pfarrwiese ein großes Plakat mit der Aufschrift "Roter Platz" aufgestellt. Aber das war amüsant.

Der SPD-Ortsverein Wörthsee hat nur noch neun Mitglieder, die alle nicht mehr die Jüngsten sind. Wie wollen Sie Nachwuchs generieren?

Na ja, immerhin hatten wir in den 1970-er, 80-er Jahren die einzige sehr aktive Juso-AG im Landkreis. Aber durch Wegzüge und Todesfälle hatten wir herbe Verluste. Wir sind in einer schwierigen Situation, ohne Zweifel. Als Älterer ist natürlich der Draht zu den Familien mit kleinen Kindern schwierig. Da hoffe ich doch auf unseren neuen Gemeinderat Benedikt Gritschneder, dass er in diesen Altersgruppen ein bisschen was bewirken kann. Aber die gesamte soziale Zusammensetzung der Gemeinde hat sich stark geändert. Die war vor 40, 50 Jahren noch sehr ländlich geprägt mit Landwirten, Handwerkern und vielen kleinen Läden. Wörthsee ist mittlerweile ein Villenvorort von München geworden. Die Ortskerne sind zwar immer noch ländlich geprägt, was sehr wertvoll ist, aber die soziale Zusammensetzung ist keine ursprüngliche SPD-Klientel.

Hat das Miteinander auch gelitten?

Leider. Dazu tragen vor allem die asozialen Medien bei. Corona-Leugner, Querdenker oder andere ganz seltsame Denker polarisieren und spalten. Das trägt nicht zur Harmonie oder zum Verständnis bei. Ich bin ein empirisch orientierter Wissenschaftler, der sehr viel Wert auf Methoden der empirischen Sozialforschung legt. Dazu gehören nun mal auch Statistiken und Pandemiedaten, auch der Ländervergleich ist wichtig. Da ist evidenzbasierte Information unabdingbar. Da kann man nicht nach krausen Ideen, Wahrnehmungen oder Gefühlen handeln. Da muss man sich auf harte Fakten verlassen. Das ist die Wurzel der Wissenschaft, dass man sich kritisch-rational mit den Entwicklungen der Gegenwart auseinandersetzt.

Warum sollten sich junge Menschen politisch engagieren?

Aus persönlichen Gründen, wegen des Klimawandels, sozialer Ungerechtigkeiten, internationaler Probleme. Damit muss man sich auseinandersetzen, gerade auch als Jugendlicher. Die können nicht in einer heilen Welt aufwachsen. Die Beschränkungen beim Feiern oder Reisen spürt jeder. Ich glaube aber nicht, dass die Jugend generell apolitisch ist.

Warum kann auch Kommunalpolitik Spaß machen?

Diese Politik ist hautnah. Straßenbaumaßnahmen, Kindergartenplätze, Verkehrsprobleme berühren jeden Einzelnen. Man kann lokal eine Menge bewegen, und wenn es nur ein Verkehrsspiegel ist, der eine Kreuzung sicherer macht.

Und man lernt auch in der Kommunalpolitik, dass es ohne Kompromisse nicht geht.

Auf jeden Fall. Wenn das Wahlkampfgetöse vorbei ist, fallen ja nahezu alle Entscheidungen einstimmig.

Sie sind jetzt 77. Wie lange bleiben Sie noch Vorsitzender der Wörthseer SPD?

Ich bin ja gerade wiedergewählt worden, aber wenn's nach mir ginge, so kurz wie möglich. Aber da ist ein gewisses Verantwortungsgefühl. Man hat etwas aufgebaut und sieht dann doch mit einem weinenden Auge, wenn es nicht so gut läuft. Wir haben jetzt eine Kooperation mit dem Ortsverein Seefeld, die stehen noch etwas besser da als wir. Bei unserer SPD-Bürgermeisterin ist immerhin noch eine Außenwirkung da. Christel Muggenthal ist zwar mit einer eigenen Liste angetreten. Da hatte ich überhaupt nichts dagegen, weil sie so die größte Chance hatte, wiedergewählt zu werden. Wir haben sie unterstützt. Aber im Kreisverband bekam ich Probleme deswegen. Da gibt es in Teilen immer noch ein verknöchertes Funktionärsdenken. Das hat dazu geführt, dass Christel Muggenthal keinen vorderen Platz auf der Kreistagsliste bekommen sollte. Da hat sie dann selbst zurückgezogen.

Sie verzweifeln doch nicht an ihrer SPD?

Nein. Ich bin immer absolut unabhängig. Carlo Schmid, einer der Väter des Grundgesetzes und des Godesberger Programms der SPD, hat einmal gesagt, SPD heißt für ihn: Selbständig Politisch Denken. Dieses Motto habe ich immer geteilt.

Bitte vervollständigen Sie den Satz: Die SPD wird . . .

. . . wenn es gut geht, noch mal knapp den Kanzler stellen können.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: