Tradition in Pandemiezeiten:Oh mei - der Mini-Maibaum

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Nur die Mass Bier ist nicht im Set dabei: René Weber vom Brauchtumsverein, mit seinem Mini-Maibaum. (Foto: Nila Thiel)

Weil sie in Gilching wegen Corona keinen richtigen Baum aufstellen können, hat René Weber Ersatz gebastelt: ein Set für daheim.

Von Patrizia Steipe, Gilching

Vorsichtig rangiert der Bulldog hin und her, der fragilen Fracht auf dem Hänger darf nichts passieren. Es ist der Maibaum, der traditionell am Karfreitag eingefahren wird. Ein Gabelstapler fährt vor, bugsiert die Stange vom Hänger und legt sie vor der Stalltür ab. Dort soll der Maibaum hergerichtet und bis zum 1. Mai bewacht werden. Die ersten Maibaumwachen wurden auch schon absolviert. Zünftig sitzen die Burschen in Tracht vor dem Stall, vor sich ein Grillhendl und ein Tragl Bier. Im Stall liegt der Maibaum, neugierig beäugt vom Milchvieh.

Auch in Zeiten von Kontaktbeschränkungen und Ausgangssperren hält der Verein "Guichinger Brauchtum" an seiner Tradition fest. "Tradition kennt keine Pause - Gilching stellt auf!", lautet das diesjährige Motto. Die beschriebene Szene ist allerdings völlig coronakonform. Denn der Maibaum misst lediglich 33 Zentimeter, bei den landwirtschaftlichen Maschinen handelt es sich um die ferngesteuerten Fahrzeuge der beiden Söhne von Sonja Pflug, der 2. Schriftführerin des Vereins. Und der Bauernhof mit den Kühen sowie die Trachtler stammen aus der Spielzeugkiste der beiden Buben.

Die Kinder von Vereinsschriftführerin Sonja Pflug, Franz und Felix, spielen mit dem Ersatz Maibaum-Transport. (Foto: Nila Thiel)

Die Idee zu den Mini-Maibäumen stammt von Vereinsvorstand René Weber. Seit zwei Jahren habe der Verein auf die diesjährige Maifeier hingefiebert, berichtet er. Nach Jahrzehnten wird der Maibaum nämlich seinen Platz gegenüber vom Montessorikinderhaus aufgeben. Auf dem Privatgrund soll gebaut werden. Der neue Standort vor der Kirche Sankt Vitus wird derzeit hergerichtet. Vier Meter lang, breit und tief ist die Baugrube. Beim Aushub wurden sogar ein paar Skelette gefunden, die noch aus der Zeit stammen, als der Friedhof rund um die Kirche angeordnet war. 1961 war der zu klein gewordene Gottesacker abgerissen worden. Der neue Friedhof auf dem Ölberg war da bereits seit fast 30 Jahren in Gebrauch.

Auf dem Vorplatz hätte heuer die Einweihung des neuen Platzes mit einem zünftigen Maibaumaufstellen gefeiert werden sollen. Angesichts der Pandemie war René Weber bald klar, dass die Veranstaltung ausfallen muss. "Nächtelang habe ich gegrübelt, wie man es trotzdem schafft, den Brauchtumsgedanken und die Tradition in die Familien zu bringen", erinnert er sich. So kam er auf die Idee, einen Bastelsatz für einen Miniaturmaibaum anzubieten. "Etwas Kleines für den Tisch". Die Mitglieder waren sofort begeistert. "Ich hatte Tränen in den Augen, als er das vorgestellt hat. Das ist so genial", erinnerte sich Sonja Pflug.

Viele Stunden Arbeit waren notwendig, um am Schluss 100 Bastelsets für jeweils 15 Euro verkaufen zu können. "Wir waren mit neun Familien ungefähr zwei Wochen lang beschäftigt", berichtet Weber. Aus dem Baumarkt wurden ein Meter lange Rundhölzer jeweils in drei Teile für drei Bäume gesägt, es kamen Löcher für die Aufhängungen hinein und Schienen, die Bodenplatten hat ein Schreiner aus Schichtholz angefertigt.

"Darauf kann man entweder den Boden vom alten oder vom neuen Standort aufkleben", erklärt Weber. Sogar die Zunftzeichen gibt es. "Die habe ich fotografiert und zum Ausschneiden verkleinert auf einen Bogen Papier gedruckt". Das Holz wurde geschliffen und der Baum weiß grundiert. Ein Döschen mit der Farbe "enzianblau" und ein Pinsel liegen für den blauen Ringel im Set, dazu auch noch zwei Holzstäbe, die mit einem Stückchen Seil zusammengebunden werden sollen. "Das sind die Schwalben", so Weber. Diese benötigt man für das traditionelle Aufstellen des Baums mit Muskelkraft. "Zuhause können sich die Familien jetzt mit dieser Tradition vertraut machen", hofft Weber.

In der Bastelbox findet sich sogar ein Schweinsbratenrezept. (Foto: Nila Thiel)

Die 100 Stück waren im Nu ausverkauft, sodass Weber an eine weitere Auflage denkt. Mittlerweile basteln Brauchtumfans in diversen Heimen bereits eifrig an dem Maibaumset, dekorieren es, fotografieren die Szenen und posten sie in den sozialen Medien. Manche greifen zu Playmobil und Lego, andere holen die Figuren und den Stall der Weihnachtskrippe hervor. Sonja Pflug hat sogar das Gilchinger Brauchtumswappen en miniature für den Spiel-Bauernhof hergestellt und das Biertragl gebastelt, der Vater macht bei den Videoaufnahmen mit.

"Den Kindern fehlt derzeit alles: die Schule, der Sportverein, die Perspektive", bedauert Pflug. Durch die Maibaumaktion sei wieder Abwechslung in das Leben der beiden Buben gekommen. "Sie haben ihre alten Spielsachen hervorgekramt und stellen jetzt Videos her", freut sich die Mutter des 14- und 12-Jährigen. Am 1. Mai wird die Familie den Maibaum feierlich zuhause aufstellen. Dann gibt es auch eine Maifeier, "natürlich in Tracht", so die Gilchingerin. Eine passende Playlist hat der Brauchtumsverein bereits zusammengestellt, auf Youtube gibt es Anleitungen für die traditionellen Tänze wie "Kikeriki", "Paul und sein Gaul" und "Boarischer". Und was das Essen betrifft: Dem Bastelset liegt auch ein Schweinebratenrezept bei.

Der große alte Maibaum wird heuer noch möglichst lange im Altdorf Gilchings stehen bleiben. Am 1. Mai wird Weber dort die Fahne hissen. "Die Spaziergänger können sich dann vergewissern, ob sie die Schilder auf ihrem Mini-Maibaum richtig aufgehängt haben", scherzt er.

Übrigens: Wo sich der kleine Bauernhof mit der Maibaumwache der Familie Pflug befindet, wird nicht verraten. Nicht, dass sich Maibaumdiebe an dem Mini-Stamm vergreifen.

© SZ vom 10.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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