Politik:Freie Wähler rücken von Aiwanger ab

Hubert Aiwanger spricht über digitale Besucherlenkung; Bayerns Wirtschaftsminister Aiwanger spricht in Feldafing

Schelte: Feldafings Bürgermeister Bernhard Sontheim (li.) bei der Pressekonferenz mit Hubert Aiwanger und Barbara Radomski.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Starnberger Kreistagsfraktion nennt Aussagen zur Pandemie und Taktieren ihres Parteichefs peinlich und unwürdig.

Von Peter Haacke

Die Freien Wähler (FW) gehen auf Distanz zu ihrem Chef, an der Basis rumort es - auch im Landkreis Starnberg: Hubert Aiwanger, FW-Bundes- und Landesvorsitzender, stellvertretender bayerischer Ministerpräsident und Wirtschaftsminister, steht weiterhin massiv in der Kritik. Der offenkundige Krach in der Regierungskoalition mit der CSU, den Aiwanger in der Vorwoche mit persönlichen Äußerungen zur Corona-Impfstrategie in einem Hörfunk-Interview des Deutschlandfunks ausgelöst hatte, ist bis in die politischen Niederungen durchgeschlagen. Die Starnberger Kreistagsfraktion der Freien Wähler distanziert sich nun öffentlich mit einem Schreiben von Aiwangers "als peinlich" empfundenen Äußerungen, der mit seiner demonstrativen Impf-Skepsis bundesweit mediale Beachtung fand.

Bereits am Dienstag war das Thema am Rand einer Veranstaltung aufgekommen, die eigentlich unpolitisch war: Aiwanger stellte in Feldafing ein Projekt zur digitalen Besucherlenkung vor. Doch Feldafings Bürgermeister Bernhard Sontheim wollte es dabei nicht belassen: Corona sei für die Region aktuell das weitaus größere Problem als die Touristenströme, sagte er. Unabhängig von Aiwangers persönlicher Meinung bat Sontheim um Unterstützung im Kampf gegen Corona - zumal Bayerns stellvertretender Ministerpräsident auch Vorbildfunktion habe. In einer ersten Reaktion forderte Pöckings Bürgermeister Rainer Schnitzler sogar Aiwangers Rücktritt. Eine Forderung, die zuvor schon aus Reihen der CSU zu hören war. Mittlerweile beschränkt sich Schnitzlers Kritik inhaltlich auf das Schreiben der Kreistagsfraktion.

Auf eine Rücktrittsforderung verzichtet die FW-Fraktion im Landkreis zwar, möchte Aiwangers Aussagen aber auch nicht unkommentiert lassen. "Einerseits vehement Öffnungen zu fordern, andererseits aber die dafür notwendige Durchimpfung der Bevölkerung zu diskreditieren, ist eines bayerischen Wirtschaftsministers und stellvertretenden Ministerpräsidenten unwürdig", heißt es im Schreiben, das Starnbergs Alt-Bürgermeister Ferdinand Pfaffinger (FW) am Mittwoch versandte. Natürlich könne sich Aiwanger privat gegen eine Impfung entscheiden. "Aber mit zum Teil abenteuerlicher Argumentation, entgegen aller Erkenntnisse der Wissenschaft, politisches Kapital schlagen zu wollen, entspricht nicht der Identität der Freien Wähler und wird von uns nur noch als peinlich empfunden", heißt es. Die FW-Fraktion im Starnberger Kreistag distanziere sich daher von den Äußerungen Aiwangers. Stattdessen bitten die Freien Wähler Bürgerinnen und Bürger darum, "die Impfangebote anzunehmen und so dazu beizutragen, dass wir diese Pandemie gemeinsam und solidarisch bewältigen können".

"Aiwanger fischt in den falschen Gewässern", sagt Pöckings Zweiter Bürgermeister Albert Luppart, "und in diesem Becken zu fischen, ist immer gefährlich." Luppart befürchtet Folgeschäden für den 120 Mitglieder zählenden Starnberger FW-Kreisverband. Zwar habe es bislang nur drei Austrittsankündigungen gegeben, doch "unsere klassische Wählerbasis könnten wir verlieren". Spitzenkandidat Aiwanger verspüre womöglich Höhenluft im Bundestagswahlkampf: Bislang lagen die erstmals bundesweit kandidierenden Freien Wähler in Umfragen bei drei Prozent. Nun aber könnten sich auch das rechte Parteienspektrum, "Reichsbürger", Verschwörungstheoretiker oder Querdenker angezogen fühlen. "Du kannst mit Sprüchen in die Medien kommen", sagt Luppart. "Aber Fischen am rechten Rand? Da will niemand rein."

Aiwanger scheint mittlerweile etwas davon abgerückt zu sein, dass er sich nicht impfen lassen werde. Gegenüber TV-Moderatorin Sandra Maischberger erklärte er am Mittwoch, er habe eine Impfung für sich nicht ausgeschlossen. Ansonsten aber blieb er vage. Sein argumentativer Schlingerkurs im Fernsehen blieb auch im Landkreis Starnberg nicht unbemerkt. "Jetzt sagt er gar nichts mehr", befand Pfaffinger, der einen freiwilligen Rücktritt Aiwangers jedoch als unwahrscheinlich erachtet. "Aber vielleicht findet bei ihm jetzt ein Umdenken statt."

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