Literatur:Die Nixe und das Haus der schlechten Laune

Literatur: Leni Gwinner, Undine-Autorin aus Widdersberg.

Leni Gwinner, Undine-Autorin aus Widdersberg.

(Foto: privat)

Sozialpädagogin Leni Gwinner aus Herrsching ist mit ihrer 2018 entstandenen Kurzgeschichte "Haus am See" im Sammelband zum Starnberger Undine-Wettbewerb vertreten.

Von Gerhard Summer, Herrsching

Die SZ stellt Autorinnen und Autoren vor, die den Undine-Literaturpreis gewonnen haben oder mit ihren Texten in dem Sammelband "Das Beste aus Starnberger Federn" vertreten sind. Der Herausgeber der "Starnberger Hefte", der frühere Deutschlehrer Ernst Quester", und der Geschäftsführer der Starnberger "Bücherjolle", Wolfgang Bartelmann, haben den Wettbewerb 2014 begründet. Inzwischen läuft die vierte Ausschreibung. Einsendeschluss ist der 30. September 2022. Weitere Infos unter https://buecherjolle-shop.buchkatalog.de/Veranstaltungen.

Dieses Haus ist nicht teuer und liegt direkt am See, trotzdem steht es schon seit Monaten zum Verkauf. Seltsam. Eine Frau besichtigt das Objekt mit einer Maklerin und ist sich rasch sicher, dass sie ihr Geld bestimmt nicht für so eine Immobilie hinblättern wird. Denn dieses Haus hat nicht nur lauter kleine, gangartige Zimmer, sondern vor allem schlechte Laune. Jedenfalls schaut es mit grantigem Blick übers Wasser. Und nach unten gezogene Mundwinkel kann die Interessentin nicht mehr sehen, sie musste jahrelang die Nörgeleien ihres Ex-Mannes und ihrer Schwiegermutter ertragen. Trotzdem bleibt sie ein paar Tage, und dann passiert etwas, das ihre Meinung schlagartig ändert: Nachts am Ufer entdeckt sie ein merkwürdiges Wesen, klein und kräftig, mit großen Füßen und Händen. Zwischen Fingern und Zehen spannen sich Schwimmhäute. Die Frau geht zurück zum Haus, holt ihr Handy heraus und schreibt an die Maklerin: "Ich kaufe."

War das jetzt ein Wassergeist? Eine Nixe, eine Undine? Ja, sagt Leni Gwinner aus Widdersberg bei Herrsching, eine Nixe. "Das soll ein Hinweis darauf sein, dass sie unter uns leben." Das Thema Nixen beschäftige sie immer wieder, "sie schleichen sich in meine Geschichten ein". Und in ihrer so charmanten wie souveränen Erzählung "Haus am See" zeige sie eben, dass man fremden Wesen mit Interesse und Faszination begegnen könne, nicht mit Angst und Misstrauen. Die inzwischen 51-jährige Sozialpädagogin, Leiterin der offenen Ganztagesschule in Herrsching, hatte ihren Text zum Undine-Wettbewerb 2018 eingereicht. Sie gewann damit zwar keinen Preis. Aber dafür findet sich ihre Geschichte zu Recht im Sammelband "Das Beste aus Starnberger Federn".

Leni Gwinner ist in den USA geboren, in Stanford. Ihre Eltern hatten 1970 an der dortigen Universität gelehrt. Schon ein Jahr später kehrte die Familie nach Andechs zurück, sie erinnere sich nicht mehr an die Zeit in Kalifornien, sagt die Schriftstellerin. Sie habe schon als Kind viel geschrieben, später in der Schülerzeitung und danach über ihre eigenen, inzwischen erwachsenen Töchter und ihren Sohn, die Flora, Levin und Undine heißen. Vor elf Jahren schloss sie sich der "Herrschinger Schreibwerkstatt" an, einer Autorengruppe, die sich einmal im Monat treffe und manchmal gemeinsame Aktionen unternehme. Seitdem habe sie das Schreiben noch intensiviert. In diesem Juni gab sie ihren Gedichtband "Teichpumpenblues" heraus, Ende August soll der Roman "Lebkuchen und andere Sterne" folgen: die Geschichte einer Wiener Familie "mit absonderlicher Lebkuchentradition". Was man sich ungefähr so vorzustellen hat: "Die backen sich gerne Botschaften, die sagen also nicht, 'Susi, schön, dass du schwanger bist', sondern schicken eine befruchtete Lebkucheneizelle". Die Geschichte erstrecke sich über 150 Jahre und ende in der fernen Zukunft, nämlich 2049.

Wie das Leben in 27 Jahren so sein wird? Europa habe aufgeforstet und auf die Klimakatastrophe reagiert, sagt Leni Gwinner, "und es gibt viele technische Hilfsmittel". Und Nixen, klar, die gibt es womöglich auch noch.

"Haus am See" - ein Auszug aus Leni Gwinners Geschichte

"Ich musste eingeschlafen sein, jedenfalls erwachte ich kalt und steif und wollte gerade laut aufstöhnen, als ich eine Stimme hörte. Leise rappelte ich mich auf, schlich zum Gestrüpp und spähte zu dem großen Stein, auf dem eine junge Frau saß. Sie kam mir irgendwie bekannt vor. Sie sang leise vor sich hin und band ihre lockigen Haare zusammen. Dann sprang sie plötzlich in einem eleganten Bogen auf. Geschmeidig und anmutig ‒ sie musste eine talentierte Turnerin sein. Sie schaute zum Mond, der hell schien und legte, als würde er sie blenden, die Hand über die Augen. Die Frau war nicht sehr groß, höchstens ein Meter sechzig. Sie war auch eigentlich nicht grazil, sondern eher kompakt und kräftig. Ihre Hände waren richtig groß. Sie spreizte die langen Finger, drehte die Hand hin und her und ich war mir erst nicht ganz sicher, aber zwischen ihren Fingern spannten sich dünne Häute. Durch die Häute schien das helle Mondlicht. Sie bewegte die Hände wie im Tanz, klappte die Finger auf und zu und betrachtete dabei gebannt den Boden. Sie war so mit sich und ihren Händen beschäftigt, dass ich es wagte die Minze etwas weiter auseinanderzubiegen.

Ich sah sie nun im Ganzen. Sie hob einen Fuß an, der ebenfalls sehr groß war, und da erkannte ich die Ähnlichkeit mit dem Jungen im Klosterladen. Die stark gelockten Haare, die Körperform und die riesigen Füße. Sie spreizte die langen, schlanken Zehen auseinander und auch dort diese Häutchen weißlich, durchscheinend. Sie gestikulierte und jetzt konnte ich sehen, wie das Mondlicht durch ihre Schwimmhäute fantastische Bilder auf den Stein zeichnete. Gebannt beobachtete ich die Frau und ihr Lichtspiel. Plötzlich hielt sie inne, drehte sich zu mir um, sah mir voll ins Gesicht und sagte: "Scheiße!" Dann hob sie bedauernd die Schultern, lächelte erst unsicher, dann irgendwie spöttisch und stieß sich mit einem Wahnsinnssprung vom Stein ab. Sie schwebte graziös durch die Luft und glitt mit einem eleganten Köpfer ins Wasser. Ich blieb stehen und beobachtete die Wasseroberfläche, auf der sich langsam, mit leisem Schwappen, die Kreise verzogen. Sie kam nicht zurück."

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