Literatur:Sommerfrische in der Bibliothek

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Der Orientalist Ignaz Goldziher verbringt im Sommer 1894 einige Wochen im Tutzinger Schloss und ist begeistert von der orientalischen Bibliothek. (Foto: oh)

Die 26. Starnberger Hefte beschäftigen sich mit zwei Denkwürdigkeiten. Die eine spielt in Kalifornien, die andere am Starnberger See in Tutzing. Das Motto der Textsammlung: "sich ändern"

Von Katja Sebald, Starnberg

Leise wie der Nieselschnee an diesem ersten Dezembertag ist auch die 26. Ausgabe der Starnberger Hefte mit dem Motto "sich ändern" erschienen. Ja, auch die feierliche Vorstellung des neuen Hefts mit Lesungen und Musik ist diesmal der Corona-Pandemie zum Opfer gefallen. Ansonsten aber räumt die von Ernst Quester herausgegebene literarische Reihe dem allgegenwärtigen Thema, das so tief greifende Änderungen in sämtlichen Lebensbereichen mit sich gebracht hat, erstaunlich wenig Platz ein.

Herzstück der Textsammlung sind vielmehr zwei literaturwissenschaftliche Denkwürdigkeiten, von denen die eine sich 1943 im kalifornischen Santa Monica zutrug und die andere ein halbes Jahrhundert früher in der Tutzinger Sommerfrische. Erstere erlangte durch das im Nachgang von Bert Brecht verfasste Gedicht "Peinlicher Vorfall" eine gewisse Berühmtheit: Der Schriftsteller Alfred Döblin hatte auf der Feier zu seinem 65. Geburtstag vor 180 Partygästen, den nahezu vollständig im Exil versammelten deutschen Intellektuellen, seine Konversion zum Katholizismus bekanntgegeben. Wie es dazu kam und warum er damit seine Gäste vor den Kopf stieß, erläutert der Germanist Johannes Schmied in seinem Aufsatz.

Die zweite Episode aber wäre vermutlich für alle Zeiten dem Vergessen anheimgefallen, hätte Christoph Rauch, der Leiter der Orientabteilung an der Berliner Staatsbibliothek, sie nicht aus den Tagebüchern des ungarischen Orientalisten Ignaz Goldziher exzerpiert. In seinem ebenso profunden wie kurzweiligen Text schildert er das sommerliche Leben des Jahres 1894 im Tutzinger Schloss und in den benachbarten Villen: Goldziher verbringt als Gast von Graf Carlo von Landberg-Hallberger, durch dessen Verehelichung mit der Tochter des Verlegers Eduard Hallberger zum Schlossherrn geworden, einige Wochen in Tutzing. Er wird von livrierten Dienern umsorgt und bewohnt zwei komfortable Zimmer.

Es ist jedoch nicht die prachtvolle Umgebung und erst recht nicht der See und die herrliche Landschaft, die dem jüdischen Gelehrten den Aufenthalt versüßen. Das "Köstlichste" ist für ihn die "fabelhaft reichhaltige orientalische Fachbibliothek" des Schlossherrn, die mit ihren rund tausend seltenen Handschriften zu seiner freien Verfügung steht. Ganz aber kann er sich dem gesellschaftlichen Leben nicht entziehen. "Unbequem sind mir freilich die Mahlzeiten, zu denen wir in Salontoilette erscheinen müssen", notiert er, kommt dann aber zu dem recht versöhnlichen Schluss: "Die Comtessen und Baronessen, die ich zu Tische führe, sind ja trotzdem Menschen." Zuletzt allerdings wird Goldziher doch noch mit dem antisemitischen Dünkel der adligen Gäste konfrontiert.

Eine ganze Reihe der in diesem Heft versammelten Texte verbindet Politisches und Religiöses, manche Autoren interpretieren das Thema "sich ändern" dennoch ganz diesseitig: Julia Behr etwa sorgt auf einem Tauschbasar für die Optimierung des eigenen Charakters, und Julia Jückstock macht in ihrem Gedicht eine "Stellschraube" zum Symbol für Veränderung. Ganz ohne das böse C-Wort aber geht es dann doch nicht: Thomas Maier-Bandomer hat in einem Essay seine Gedanken "Über Veränderung in pandemischer Zeit" aufgeschrieben, und Susanne Quester fotografierte in längst vergangenen vorpandemischen Zeiten das Schaufenster einer chinesischen Konditorei mit dem schönen Namen "holytaste".

Die 26. Ausgabe der Starnberger Hefte ist von sofort an in den lokalen Buchhandlungen erhältlich oder kann unter info@starnberger-hefte.de direkt bestellt werden.

© SZ vom 03.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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