Lesung mit Musik:Der unerhörte Hesse

Lesung mit Musik: Klaus Brückner liest Gedichte vor, Sunyata Kobayashi spielt eigens für den Abend komponierte Musik.

Klaus Brückner liest Gedichte vor, Sunyata Kobayashi spielt eigens für den Abend komponierte Musik.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Klaus Brückner und Sunyata Kobayashi in Münsing

Von Christa Gebhardt, Münsing

Ein angstvoller Warnruf war Hermann Hesses Roman "Steppenwolf", er schrieb ihn im Jahr 1927 im Vorfeld des drohenden Zweiten Weltkriegs, und er wurde in einem großen Teil einer nationalistisch aufgeheizten Öffentlichkeit dafür belächelt. Seine düstere Prognose sollte sich erfüllen. Dass der Schriftsteller, der sich in seinem Werk mit der Dualität von Gut und Böse im Individuum beschäftigt hat, auch heiter sein konnte, durfte man im Münsinger "Freiraum" erfahren. Schauspieler Klaus Brückner und Gitarrist Sunyata Kobayashi eröffneten dort das Jahresprogramm mit einem Abend mit Erzählungen, Gedichten und Musik unter dem Titel "Hermann Hesse tanzt aus der Reihe".

Der Schriftsteller, den der Leser aus Romanen wie "Demian", "Narziss und Goldmund" oder dem "Glasperlenspiel" als tief denkenden Philosophen kennt, stellt sich in seinen Gedichten aus dem Alltag selbstkritisch und satirisch dar. Wohl 1500 Gedichte habe Hesse geschrieben, erzählt Brückner, um die 30 hat er ausgewählt, um sie vorzulesen. Denn ausgesprochen im Raum bekämen diese Poeme eine ganz andere, größere Wirkung, als würde man sie im stillen Kämmerlein nur für sich lautlos konsumieren. "Verdichtungen" seien Hesses Gedichte, Minidramen, die gleichermaßen große Lebenskrisen wie Momentaufnahmen seines Alltags in wenigen Worten ausdrücken. Ehrlich ist Hesse da in seinen Reimen und sagt Dinge, die man dem bürgerlich gebildeten Dichter wohl so nicht zugeordnet hätte. Gerade in den Zwanzigerjahren, in denen er sich ständig in wechselnden psychischen und politischen Krisen befand, gibt er sehr offen Einblicke in seinen seelischen, oft desolaten Zustand. Er schreibt von Soireen, angeblich vornehmen Abendgesellschaften, wo scheinheilig und dümmlich Oberflächliches geplaudert und zu viel Cognac getrunken wird. Er, der Dichter, tut es nicht anders. Überhaupt ist zu viel Alkohol in diesen Jahren oft mit im Spiel, auch in der Liebe. So, wenn Hesse davon dichtet, schlaflos aus Verliebtheit zu sein, sich aber nicht mehr an den Namen der Angebeteten erinnern zu können.

Erotik und Affären sind ein großes Thema in den Gedichten dieser Jahre, ein guter Familienvater oder Ehemann war Hesse nicht. Er war zweimal geschieden und dreimal verheiratet. Wenn er 1898 als junger Mann mit fast 20 Jahren zu Beginn seiner schriftstellerischen Tätigkeit schrieb: "Von meiner brennenden Liebe kann dich kein Engel erlösen", so hat sich das Thema Erotik bis zu seinen Fünfzigern durchaus nicht erledigt. Davon erzählen viele seiner Gedichte, allerdings werden sie mit den Jahren immer zynischer. Das Publikum im voll besetzten Freiraum quittiert dies mit großer Heiterkeit, denn in solchen liebesbedingten und weinseligen Irrungen und Wirrungen kann sich so mancher und manche wiederfinden.

Der Schauspieler Brückner liest mit wohl eingesetzten Tempi und schelmischer Betonung und bekommt mehrmals Szenenapplaus dafür. Sunyata Kobayashi begleitet ihn auf der Gitarre mit melodischen Arrangements, die er für diesen Abend komponiert hat. Kobayashi singt seine träumerischen Songs auf Englisch, die meist von der Liebe handeln, aber eines auch auf Japanisch, das man dennoch zu verstehen glaubt. Die Botschaft lautet: "Und jetzt werde ich so weiterleben wie heute." Der scheinbar introvertierte Hesse liebte das Leben und die Liebe. Kobayashi, Musiker und Tai-Chi-Lehrer, kommt aus einer deutsch-japanischen, sehr spirituellen Familie. Doch dass Hesses Werk da eine große Rolle spielte, sei keine Ausnahme, erzählt Brückner. In Japan wie auch in Korea wurde Hesse verehrt, weil er dort als Widerstandsdichter galt.

Die schonungslos offene und ehrliche Seite von Hermann Hesse in seinen wenig bekannten Gedichten kennen zu lernen, war für das Publikum tatsächlich ein großes Vergnügen. Da sind sich der alte Herr aus Ambach und der Hessekenner und Deutschlehrer im Ruhestand aus München einig. Seine Schüler hätten bei der Lektüre von "Narziss und Goldmund" geweint, weil sie sich mit den Krisen des Erwachsenwerdens in diesem Roman so sehr identifizieren konnten. Das Publikum im Münsinger Freiraum konnte erheitert feststellen, dass sich Hesses freche und selbstironische Beschreibungen eines sehr menschlichen Alltagserlebens über die Zeiten doch nicht wesentlich verändert haben.

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