50 Jahre Gemeindegebietsreform:Widerstand und wilde Gerüchte

50 Jahre Gemeindegebietsreform: Wer Wörthsee sagt, meint oft Steinebach: 1972 wurden fünf Dörfer zur kleinsten Großgemeinde im Landkreis Starnberg vereinigt.

Wer Wörthsee sagt, meint oft Steinebach: 1972 wurden fünf Dörfer zur kleinsten Großgemeinde im Landkreis Starnberg vereinigt.

(Foto: Hans Belle, oh)

1972 wurden die Dörfer Steinebach, Auing, Etterschlag, Walchstadt und Schluifeld zur Gemeinde Wörthsee. Was nach einem trockenen Verwaltungsakt klingt, war tatsächlich ein hochspannender Krimi

Von Patrizia Steipe, Wörthsee

Es klingt wie ein trockener Verwaltungsakt: der Zusammenschluss der Gemeinden Steinebach und Auing mit Etterschlag, Walchstadt und Schluifeld. Doch die damaligen Ereignisse lesen sich heute wie ein spannender Lokalkrimi: Vor 50 Jahren entstand die neue Gemeinde "Wörthsee". Mit einer Ausstellung im Foyer des Rathauses erinnert Barbara Blankenburg an die damaligen Vorgänge. Die Archivarin hat dafür Akten, Pressetexte, Fotos und Dokumente zusammengestellt, die auch die wilden Gerüchte, die im Ort über die damaligen Vorgänge kursieren, widerlegen.

Gemeindegebietsreform - dieses Wort geisterte Anfang der Siebzigerjahre wie ein Schreckgespenst durch die vielen unabhängigen Orte in Bayern. Um mehr Effizienz in die Verwaltungen zu bringen, plante die Staatsregierung, kleine und Kleinst-Gemeinden zu sogenannten Großgemeinden mit 5000 Einwohnern zu vereinigen. Im Idealfall sollte dies - angesichts vielfältigen Widerstands in manchen Dörfern - "freiwillig" erfolgen. Dafür lockten als "Zuckerl" hohe Fördermittel unter der Voraussetzung, dass die Frist im April 1971 gewahrt bliebe.

Eine Schule stand vor 50 Jahren ganz oben auf dem Wunschzettel: Die Schüler waren auf fünf Standorte verteilt, das Problem drängte

Heinrich Lang, seit Oktober 1970 Bürgermeister der Gemeinde Steinebach, war jedenfalls äußerst angetan von der Aussicht, 300 000 Mark vom Freistaat zu bekommen. In den Orten rund um den Wörthsee fehlte nämlich eine gemeinsame Schule. Ein Neubau, den die Etterschlager und Steinebacher bereits als Gemeinschaftsprojekt geplant hatten, könnte endlich durch die Fördermittel gestemmt werden. Damals besuchten die Erstklässler eine Mini-Schule in Steinebach, die zweite und dritte Klasse musste nach Etterschlag, die vierte Klasse wurde in Walchstadt unterrichtet, die fünfte und sechste in Steinebach und die drei letzten Klasen widerum fuhren nach Gilching. Und wegen der steigenden Einwohnerzahlen hätten die Klassen auch noch bald geteilt werden müssen. Doch wohin mit den Schülern? Das Problem drängte.

50 Jahre Gemeindegebietsreform: Wahplakate an Bäumen: 1972 wurde erstmals ein Bürgermeister für die neue Gemeinde Wörthsee gewählt. Das Foto stammt aus dem Nachlass von Josef Wirth.

Wahplakate an Bäumen: 1972 wurde erstmals ein Bürgermeister für die neue Gemeinde Wörthsee gewählt. Das Foto stammt aus dem Nachlass von Josef Wirth.

(Foto: Helga Wirth/Heimatverein Wörthsee/oh)

Bürgermeister Lang machte die Zusammenlegung der Ortschaften zur Chefsache. Der Etterschlager Kollege Josef Wirth und sein Gemeinderat indes reagierten zwar "grundsätzlich positiv", hat Blankenburg festgestellt, hatten aber auch Bedenken: Würden die Fördersummen tatsächlich für die neue Schule verwendet werden können? Die Etterschlager befürchteten, dass die Gelder in den Umstrukturierungen der Verwaltungsreform versickern würden. Ein zähes Ringen begann, während das Fristende für das Fördergeld immer näher rückte. Im Februar 1971 stimmte der Steinebacher Gemeinderat schließlich für die Zusammenlegung.

Die Bürger waren jedoch geteilter Meinung. Bei einer Versammlung von Etterschlagern und Steinebachern kochten die Emotionen hoch. Viele Aspekte waren ungelöst, darunter die entscheidende Frage, wie der neue Ort heißen solle. Landrat Rudolf Widmann schlug bei einem Treffen in Oberpfaffenhofen scherzhaft "Stoaschlag" vor - eine Mischung aus Steinebach und Etterschlag. Weitere Vorschläge waren "St. Martin am Wörthsee" oder "Steinettstadt", eine Mischung aus Steinebach, Etterschlag und Walchstadt. Nach vielen Sondersitzungen dann die Erleichterung: Einen Tag vor Fristende fiel mit neun zu zwei Stimmen in Etterschlag die historische Entscheidung, der Gemeindefusion zuzustimmen.

Statt einer neuen Schule drohte der neuen Gemeinde ein Minus von 200 000 Mark

Dann die Hiobsbotschaft: Es stellte sich heraus, dass es für die Abwasserbeseitigung künftig etwa 500 000 Mark weniger Förderung geben werde. Statt einer Schule drohte der neuen Gemeinde ein Minus von 200 000 Mark. "Unter diesen Umständen hätte die Bevölkerung niemals zugestimmt", so Blankenburg. Doch deren Zustimmung erwartete das Innenministerium bis zum 15. Oktober. Dabei hatte man bereits die Zusage für ein Schulgrundstück am Bulach, das Graf Toerring günstig für 15 Mark pro Quadratmeter verkaufen wollte. Schulneubau und Zusammenschluss drohten zu platzen. Nun setzten die Bürgermeister gemeinsam mit Landrat Widmann und dem Herrschinger Landtagspräsidenten Rudolf Hanauer alle Hebel in Bewegung. Nach Wochen des Wartens kam die erlösende Antwort: Dank zusätzlicher Förderungen aus einem Topf für freiwillige Zuwendungen sollte der künftigen Gemeinde bei der Abwasserbeseitigung keine finanziellen Nachteile entstehen.

Fehlte nur noch ein positives Votum der Bürger. Das Ergebnis war überwältigend: 95 Prozent der Steinebacher waren dafür und 80 Prozent der Etterschlager, lediglich in Walchstadt fiel das Votum mit 63 Prozent schlechter aus. Die Weichen waren gestellt: Am 1. Januar 1972 bekam der Landkreis Starnberg mit Wörthsee die kleinste Großgemeinde im Landkreis.

50 Jahre Gemeindegebietsreform: Vereidigung des Bürgermeisters am 13. März 1972: Der ehemalige Steinebacher Bürgermeister Heinrich Lang (rechts) gratuliert dem ehemaligen Etterschlager und frisch gewählten Wörthseer Bürgermeistert Josef Wirth zu seinem Amtsantritt nach dem Wahlsieg.

Vereidigung des Bürgermeisters am 13. März 1972: Der ehemalige Steinebacher Bürgermeister Heinrich Lang (rechts) gratuliert dem ehemaligen Etterschlager und frisch gewählten Wörthseer Bürgermeistert Josef Wirth zu seinem Amtsantritt nach dem Wahlsieg.

(Foto: Helga Wirth/Heimatverein Wörthsee/oh)

Der erste Gemeinderat mit Bürgermeister Josef Wirth wurde im März 1972 gewählt. Drei Jahre später konnte die neue Schule eingeweiht werden. Ob Wörthsee, das mit seinen etwa 3000 Einwohnern unter dem Richtwert von 5000 geblieben ist, selbstständig bleiben könne oder weitere Zusammenschlüsse nötig seien, war noch einige Jahre lang Thema. Der Bevölkerungszuwachs erübrigte die Frage: Heute hat Wörthsee 5236 Einwohner.

Die Ausstellung im Rathausfoyer startet zum Bürgerfest am Rathausplatz, am Samstag, 2. Juli, ab 18 Uhr und läuft bis Freitag, 15. Juli, zu den Öffnungszeiten. Vernissage ist am Freitag, 1. Juli, um 19 Uhr.

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