Wahl in der Türkei:"Egal, wen ich wähle - es ist falsch"

Wahl in der Türkei: Im ehemaligen Kaufhof am Münchner Stachus konnten Deutschtürken zwischen dem 27. April und dem 9. Mai ihre Stimme abgeben.

Im ehemaligen Kaufhof am Münchner Stachus konnten Deutschtürken zwischen dem 27. April und dem 9. Mai ihre Stimme abgeben.

(Foto: Catherina Hess)

Knapp 1500 Türken leben im Landkreis Starnberg. Vor der Richtungswahl am Sonntag hoffen die einen, dass es für Staatschef Erdoğan reichen wird - und die anderen, dass im Fall seiner Niederlage kein Bürgerkrieg ausbricht.

Von Viktoria Spinrad, Starnberg

Wenn Salih Çelik über Erdoğan spricht, hört er gar nicht mehr auf. Die modernen Krankenhäuser, der geplante Istanbul-Kanal, der neue Flughafen, das in der Türkei entwickelte E-Auto. Der Staatschef habe doch so viel richtig gemacht, sagt Çelik. Erdoğan Herausforderer, CHP-Chef und Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu, hingegen könne ja noch nicht einmal zwei Sätze hintereinander reden. "Sowas brauche ich nicht", sagt Çelik und schüttelt den Kopf. Er legt die Hand auf sein Herz. Er würde immer Erdoğan wählen, "er ist der Richtige".

Ali Yilmaz denkt ganz anders. Auf die mittlerweile 20 Jahre dauernde Türkei-Präsidentschaft von AKP-Chef Recep Tayyip Erdoğan angesprochen, wiegt er den Kopf, wägt seine Worte. Hyperinflation, Korruptionsvorwürfe, der Umgang mit Oppositionellen: Objektiv gesehen, sagt er, sei Erdoğan zwar smart, aber kein guter Präsident. "Er hat viel versprochen, aber wenig eingehalten."

1482 Türkinnen und Türken leben im Landkreis Starnberg, der Großteil davon im wahlfähigen Alter. Dazu kommen viele Deutschtürken, die nur den deutschen Pass haben, sowie türkische Minderheiten aus Ländern wie Bulgarien oder Griechenland. Egal, mit wem man spricht: Gespannt schauen sie alle auf den Sonntag. Dann ist großer Wahltag in der Türkei, zum ersten Mal seit 20 Jahren macht sich die Opposition realistische Hoffnung auf einen Wechsel an der Spitze. Islamismus oder Säkularität, gen EU oder dem Nahen Osten: Das Votum am Wochenende gilt gemeinhin als Richtungswahl, derzeit zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen ab.

Hört man sich vorab um in der türkischen Szene am Starnberger See, wird schnell klar, dass sich die Spaltung am Bosporus auch hier niederschlägt. Manche sprechen über den langjährigen Präsidenten Erdoğan, als wäre er der personifizierte Totengräber des Landes. "Der macht doch bloß Schappscharapp", sagt einer und überschlägt freimütig, wie viele Milliarden sich der AKP-Chef über die Jahre in die Tasche gesteckt haben könnte. Überhaupt sei der ja mittlerweile eher ein Diktator. Quatsch, sagt ein anderer, er sei schließlich normal gewählt worden.

Wahl in der Türkei: In der Weilheimer Straße 13a in Starnberg ist in einem Neubau eine türkische Moschee untergebracht.

In der Weilheimer Straße 13a in Starnberg ist in einem Neubau eine türkische Moschee untergebracht.

(Foto: Viktoria Spinrad)

Was Erdoğan-Befürworter und -Kritiker in der Region gemeinsam haben, ist die Angst vor persönlichen Nachteilen, sollten sie mit ihrem Namen in der Zeitung stehen. Erdoğan-Fans fürchten, dass sie von vorurteilsbehafteten Mitmenschen als ultrakonservativ abgestempelt werden, als kopftuchbefürwortende Frauen-Unterdrücker gewissermaßen. Gegner wiederum vermuten, dass der lange Arm von Erdoğans AKP auch bis Starnberg reicht und der nächste Türkei-Urlaub zum One-Way-Trip wird. Deshalb sind alle Namen hier geändert.

Die deutschen Medien, moniert Salih Çelik, würden ja vor allem Schlechtes über Erdoğan verbreiten. Damit hat er nicht unrecht: Hier gibt es viel Kritik - an den korrupten Strukturen, der instrumentalisierten Justiz, dem Katastrophenmanagement nach dem Erdbeben, dem autokratischen Auftritt des Staatschefs. Dabei, sagt Çelik, hätte Erdoğan sich doch gar nicht so lange an der Macht halten können, wenn er kein guter Präsident wäre. Und nur wegen der Inflation könne man ja nicht "20 Jahre gute Arbeit" einfach so beiseite wischen.

Erdoğan werde das schon "geschickt machen", meint einer - und ganz knapp gewinnen

Erdoğan-Kritiker Ali Yilmaz sieht das genau umgekehrt. Die vergangenen Wahlen, so seine Vermutung, habe Erdoğan doch auch nur durch Wahlfälschung gewonnen. Es ist eines der Argumente der Opposition. Tatsächlich hatte die OSZE-Wahlbeobachtermission 2018 einen "Mangel an gleichen Bedingungen" moniert, doch seien die Regeln "weitgehend eingehalten" worden. So oder so, sagt Yilmaz: "Der wird eh nochmal gewählt." Und meint damit, dass die Zahlen notfalls eben angepasst würden - eine weitverbreitete Befürchtung, die internationale Beobachter zu verhindern suchen.

3,4 Millionen potenzielle türkische Wähler gibt es im Ausland, 1,5 Millionen davon in Deutschland, das sind 2,5 Prozent der Stimmen. Wegen ihrer Herkunft aus oft ärmeren Verhältnissen gelten die deutschen Migranten tendenziell als noch konservativ-religiöser und somit AKP-wohlgesonnener als die Türken im Heimatland. Im Jahr des 100-jährigen Bestehens der türkischen Republik hängt dessen Zukunft also auch von den 120 000 Deutschtürken aus Oberbayern, Niederbayern und Schwaben ab, die noch bis zum Dienstag im ehemaligen Kaufhof am Münchner Stachus wählen konnten. Im Landkreis Starnberg scheint es, als hätten viele drauf verzichtet. Erdoğan-Fan Çelik sagt, er habe keine Zeit gehabt. Erdoğan-Gegner Yilmaz sagt, er habe ja nur den deutschen Pass. Ein anderer sagt: "Egal, wen ich wähle - es ist falsch."

Wie sie auf den Sonntag blicken? Salih Çelik schätzt, dass Erdoğan mit 51,7 Prozent wiedergewählt wird, "aber im Endeffekt reichen ja auch 50,1 Prozent". Andere sorgen sich, wie es in der Heimat weitergeht, sollte der Staatschef eine Niederlage erleiden. Ob er wieder, wie schon öfter, Neuwahlen einberufen, einen Ablenkungskrieg mit den Kurden anzetteln wird? Manche befürchten gar eine Art Bürgerkrieg, mindestens aber eine Wahlmanipulation. Er sei ja kein dummer Mensch, der Erdoğan, sagt Ali Yilmaz. Er werde das schon "geschickt machen" - und ganz knapp gewinnen.

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