Süddeutsche Zeitung

SZ-Adventskalender:Ohne Perspektive in der neuen Heimat

Im Landkreis leben derzeit 1545 Flüchtlinge und unbegleitete Minderjährige. Die meisten von ihnen leiden darunter, dass sie nicht arbeiten können oder dürfen. Selbst für kleine Wünsche fehlt das Geld.

Von Astrid Becker, Starnberg

Schnell musste alles gehen, damals im Jahr 2015. In Windeseile hatten Landratsamt und Kommunen Container aufgestellt, um den heimat- und wohnungslosen Asylsuchenden, die damals wöchentlich im Landkreis ankamen, eine warme und sichere Unterkunft zu bieten. Auch in den Gemeinden selbst meldeten sich viele Freiwillige, die diesen Menschen helfen wollten. Seither ist viel geschehen: Einige Geflüchtete wurden wieder in ihre angeblich sicheren Herkunftsländer abgeschoben, andere in andere Landkreise verlegt. Das ist die eine Seite. Die andere ist, dass viele Angebote für die Integration dieser Menschen geschaffen worden sind. Trotzdem gibt es noch immer viele und recht vielschichtige Probleme, unter denen die derzeit 1545 Flüchtlinge und unbegleitete Minderjährige leiden, die in den Unterkünften des Kreises leben.

Da ist die wahrscheinlich belastendste aller Fragen, die noch nicht anerkannte Asylsuchende bewegt: Muss ich wieder zurück, dorthin, wo Not, Elend oder sogar Gewalt auf mich warten? Werde ich überhaupt bleiben dürfen? Und wie kann ich mich in diesem fremden Land mit einer völlig anderen Kultur und Sprache zurechtfinden? 2015 hatten die vielen freiwilligen Asylhelfer im Kreis selbst erste Deutschkurse gegeben, Grundkenntnisse vermittelt, damit vermeintlich einfache Herausforderungen im Alltag bewältigt werden konnten: etwa der Einkauf im Supermarkt, wenn Putzmittel gesucht werden und die Beschriftung gar nicht verstanden werden kann, oder wenn die Verkäuferin an der Käsetheke fragt, ob es denn auch etwas mehr sein dürfe.

Anerkannt, zum Beispiel mittels der von Behörden oft geforderten Zertifikate, wurden diese Kurse allerdings nicht. Doch immerhin wurden die Asylsuchenden nicht allein gelassen. Sie knüpften auf diese Weise auch erste Kontakte zu den Einheimischen, etwas, das den Flüchtlingen, so war bei diversen Dialogveranstaltungen zu hören, sehr wichtig ist und das sie gern vertiefen würden. Doch ganz einfach ist auch das nicht.

Flüchtlinge erinnern an die Ertrunkenen

Mehr als 18 000 Menschen sollen in den vergangenen fünf Jahren auf der Flucht über das Mittelmeer ertrunken sein, allein heuer waren es schon mehr als 1200. Zum Gedenken an sie rufen die Seenotrettungsvereine Resqship und Sea-Eye zu einer Mahnwache an einem Original-Flüchtlingsboot am Samstag, 14. Dezember, von 11 Uhr an auf dem Frauenplatz in München auf. Zwischen 13 und 14 Uhr werden Flüchtlinge aus dem Landkreis Starnberg im Münchner Dom die Namen der Ertrunkenen vorlesen. Im Anschluss daran, um 14 Uhr, ziehen vom Flüchtlingsboot aus Kardinal Marx, Landesbischof Bedford-Strohm und Bischof von Aristi Vasilios mit dem aus Schiffsplanken gefertigten sogenannten Lampedusa-Kreuz in den Dom ein. Dort soll dann eine ökumenische Andacht stattfinden. Die Mahnwache ist bis etwa 20 Uhr geplant. An einem Stand können sich zudem Passanten und Teilnehmer der Mahnwache über die aktuelle Situation auf dem Mittelmeer, die zivile Seenotrettung, sichere Häfen und über ein Resettlement-Programm informieren, mit dem Menschen die tödliche Flucht über das Mittelmeer erspart werden kann. ABEC

Zwar gibt es noch in allen Gemeinden Helferkreise, doch die Zahl derer, die sich dort engagieren, ist auch laut Landratsamt zurückgegangen. Die verbleibenden Ehrenamtlichen fühlen sich oft überlastet. Auch die Personaldecke der Asylsozialberatung, für die das Innenministerium zuständig ist und die hier von der Inneren Mission übernommen wird, ist offensichtlich zu dünn. Nach Auskunft des Landratsamt muss ein Berater etwa 250 Geflüchtete betreuen. Das Landratsamt versucht, Helferkreise zu unterstützen und neue Mitglieder zu finden, indem es beispielsweise Integrationsbegleiter-Schulungen anbietet. Die Absolventen werden dann wiederum an die Helferkreise vermittelt.

Zudem gibt es zahlreiche Organisationen und Stiftungen etwa wie "Welten verbinden", die mit therapeutischen Angeboten für traumatisierte Flüchtlinge Hilfe leisten. Im Landratsamt selbst hat seit dem vergangenen Jahr einen eigenen Fachbereich und diverse Angebote für Asylhelfer wie Asylsuchende - etwa Gesundheitsseminare, interkulturelle Trainings, Musikprojekte, Gesprächsrunden und sogar eine Integreat-App, die Neuzugewanderten und Geflüchteten in mehreren Sprachen einen Überblick über den Landkreis und seine Angebote verschafft.

Mittlerweile gibt es Integrationskurse für erwachsene Zuwanderer, die wenig oder kein Deutsch sprechen, aber bleiben dürfen. Darüber hinaus hat das Landratsamt bereits sieben Kurse für Menschen ohne klare Bleibeperspektive zusammen mit der Volkshochschule angeboten und auch finanziert. Denn die Betroffenen müssten dies eigentlich selbst zahlen, eine staatliche Förderung für ein solches Angebot gibt es nicht. Doch für Deutschunterricht, der dort stattfindet oder Gesellschaftslehre, bei der es um Themen wie Demokratie, Menschenrechte oder auch Gleichberechtigung von Mann und Frau geht, hätten die Betroffenen selbst kein Geld.

Viele von ihnen leiden unter den Schulden, die sie allein für Flucht oder Anwälte gemacht haben. Sie leiden psychisch unter den Erlebnissen vor und während der Flucht, unter Identitätskonflikten, unter Perspektivlosigkeit - auch weil viele von ihnen nicht arbeiten dürfen oder können. Derzeit stehen im Landkreis gerade mal 90 Asylbewerber in einem Beschäftigungsverhältnis - in Vollzeit, Teilzeit oder als Minijobber. 56 haben seit 2017 eine Ausbildungserlaubnis erhalten, 100 Anträge auf ein Praktikum sind ebenfalls von 2017 bis heute genehmigt worden. Doch ihr Verdienst reicht dennoch nicht aus, um kleinere Wünsche oder sogar größere Notwendigkeiten zu erfüllen. Da ist zum Beispiel ein junger Afghane, der im Landkreis eine Lehre absolviert und dringend einen PC für den Berufsschulunterricht braucht. Oder eine junge Mutter aus Eritrea, die sich ein Fahrrad mit Kinderanhänger wünscht. Menschen wie ihnen will der SZ-Adventskalender in diesem Jahr helfen.

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Quelle:
SZ vom 14.12.2019
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