Süddeutsche Zeitung

Verkehr:Ein Hauch von Radweg

Immer mehr Gemeinden im Landkreis Starnberg stricheln Schutzstreifen auf die Straßen, wenn Geld oder Platz für abgetrennte Spuren fehlen. In Tutzing zeigen sich vor allem Autofahrer verunsichert über das neue Provisorium.

Von Manuela Warkocz

Ein durchgängiges Radwegenetz, auf dem man sicher unterwegs ist - das wünschen sich die allermeisten Radfahrer. Oft reicht in den Landkreisgemeinden aber nicht der Platz für einen richtigen Radweg. Mindestens 1,50 Meter muss er breit sein, möglichst soll er sogar zwei Meter haben, wie es in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung aus dem Jahr 2017 heißt. Zudem sind die Kosten für einen befestigten Radweg beträchtlich, für einen Kilometer innerorts werden mindestens 150 000 Euro veranschlagt. Alternativ greifen immer mehr Bürgermeister zu Farbe und Pinsel.

Direkt auf der Fahrbahn wird rechts mit gestrichelten Linien ein Bereich für Radfahrer markiert - ein sogenannter Fahrradschutzstreifen, ein Ausweichangebot für Radler. Jüngst erhielten die Tutzinger Hauptstraße und die Bahnhofstraße in Gauting Schutzstreifen. Das Landratsamt begrüßt sie, der Fahrradverband ADFC findet sie besser als gar nichts; es gibt aber auch kritische Stimmen.

Zum Straßenbild gehören die Schutzstreifen schon seit längerem in Andechs, Berg, Herrsching, Krailling, Gilching und in der Stadt Starnberg. In Tutzing wurde der erste in der Ortsdurchfahrt angebracht, auf beiden Seiten der Hauptstraße von der Einfahrt Waldschmidtstraße bis zur Hans-Albers-Straße. Derzeit endet er in Garatshausen. Die Fortführung über die Gemeindegrenze nach Feldafing sei aber schon genehmigt, so das Landratsamt. Der Streifen soll bis zur Abzweigung nach Traubing führen, dann können Radler den vorhandenen Radweg an der Kaserne nutzen.

"Die Schutzstreifen bringen dem Radfahrer mehr Sicherheit", heißt es dazu von der Kreisbehörde. Zum einen, weil Autos mit größerem Abstand überholten. Zum anderen, weil Radfahrer von anderen Verkehrsteilnehmern besser gesehen würden. Sie leiteten den Radfahrer auf der Fahrbahn und seien ein Angebot für die Radfahrer, die bisher den Gehweg genutzt hätten. Konflikte mit Fußgängern könnten so vermieden werden. Fahrradschutzstreifen seien Teil des Konzepts für ein landkreisweites Alltagsradroutennetz, das vom Verkehrsmanagement im Landratsamt gemeinsam mit den Gemeinden entwickelt worden sei.

Claus Piesch, Vorsitzender des ADFC in Tutzing, formuliert hingegen den weitergehenden Wunsch der Radler: "Unser Ziel sind eigene Radwege oder Radfußwege." Wenn es gar nicht anders gehe, sei ein Radschutzstreifen das Wenigste. Immerhin hätten Verkehrsexperten herausgefunden, dass ein Schutzstreifen das generelle Tempo auf einer Straße um durchschnittlich sechs bis acht Stundenkilometer senke. Die optische Verengung führe zu mehr Rücksicht der Verkehrsteilnehmer.

Ist der Streifen neu - wie jetzt in Tutzing - müssten sich Auto- und Radfahrer aber offenkundig erst an den Umgang gewöhnen. Einige seien mit dem Auto direkt auf dem Streifen unterwegs, "wohl aus Furcht um ihren Außenspiegel im Gegenverkehr", wie Piesch vermutet. Dokumentiert wurde in sozialen Medien auch, dass drei Autos vor dem Zugang zu einer Arztpraxis den Radlern vorbehaltenen Seitenbereich tagsüber zugeparkt haben.

Was auf den unterschiedlichen Spuren erlaubt ist

Was ist ein Fahrradschutzstreifen? Was unterscheidet ihn vom Radfahrstreifen? Und wie sind beide von Radlern und Autofahrern zu handhaben? Wer sich darüber schlau machen will, erfährt, dass weder Schutz- noch Radfahrstreifen in der Straßenverkehrsordnung (StVO) genannt werden. Angaben zum Schutzstreifen stehen in Anlage 3 der StVO und der Radfahrstreifen ist in der Verwaltungsvorschrift zur StVO festgeschrieben.

Der Fahrradschutzstreifen ist auf der Fahrbahn durch eine gestrichelte Linie, bisweilen auch zusätzlich mit einem Fahrradpiktogramm gekennzeichnet und ist Teil der eigentlichen Fahrbahn. Radler müssen nicht zwingend auf ihm fahren. Maximal aus dem Rechtsfahrgebot könnte eine solche Pflicht abgeleitet werden. Autos dürfen nur in Ausnahmefällen auf dem Schutzstreifen fahren. Das Parken ist dagegen untersagt - und seit Inkrafttreten der neuen StVO Ende April gilt auch ein generelles Halteverbot. Zuvor war es erlaubt, bis zu drei Minuten zu halten. Zudem darf der Schutzstreifen befahren werden, um zu einem Parkstreifen zu gelangen, wenn der sich rechts vom Schutzstreifen befindet. Radfahrer auf dem Schutzstreifen müssen sich in der Regel an der Auto-Ampel orientieren.

Ein Radfahrstreifen ist hingegen durch eine durchgezogene weiße Linie vom Rest der Fahrbahn getrennt. Er darf nur von Radfahrern genutzt werden. Im Gegenzug müssen ihn Radfahrer benutzen, wenn er vorhanden ist. Gekennzeichnet wird der Radstreifen mit einem runden blauen Schild mit weißem Fahrrad. Autos dürfen dort weder halten noch parken. Wer dies missachtet, muss mit einem Bußgeld rechnen. manu

Die Tutzinger wollen sich das mit dem Schutzstreifen erst einmal ansehen. "Etwa zwei Jahre - so lange, bis die Farbe wieder verblasst", umschreibt Bürgermeisterin Marlene Greinwald (FW) die Dauer des Provisoriums. Im Gemeinderat glaubt man, sich an eine Befristung auf ein Jahr zu erinnern. Der Beschluss ist allerdings schon eineinhalb Jahre her. So lange dauerte es, bis der Radweg light endlich auf die Fahrbahn kam. Aus den Erfahrungen will man Schlüsse für weitere Radschutzstreifen im Süden Tutzings ziehen, die nach der Sanierung der Hauptstraße vorgesehen sind.

Dem neuen Tutzinger Verkehrsreferenten und CSU-Gemeinderat Florian Schotter ist aufgefallen, dass Autofahrer am Schutzstreifen oft nicht die innerorts vorgeschriebenen 1,50 Meter Abstand zu Radfahrer einhielten. "Dieser Umstand ist, denke ich, vielen nicht bekannt." Die örtliche CSU, aus deren Reihen immer wieder Vertreter deutlich für Autofahrerinteressen eintreten, zeigt sich Schotter zufolge bei den Radlstreifen grundsätzlich offen: "Alles, das zu mehr Sicherheit im Verkehr beiträgt, wird selbstredend unterstützt." Der Polizeioberkommissar erwartet jedoch neue Probleme. Denn mit den Streifen im Norden und Süden der Seegemeinde würden insgesamt über 60 Parkplätze entlang der Hauptstraße wegfallen. Ein erhöhter Parkdruck auf die umliegenden Nebenstraßen sei damit zu befürchten - auch wenn der in den ersten Wochen laut Bürgermeisterin noch nicht zu beobachten gewesen sei. Dennoch sieht Schotter ein Parkleitsystem für Tutzing "als zwingenden nächsten Schritt". Denn selbst, wenn mehr Einheimische aufs Rad umsteigen - an heißen Sommertagen suchen Auswärtige erfahrungsgemäß Parkplätze in Seenähe.

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Quelle:
SZ vom 11.09.2020
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