Süddeutsche Zeitung

Corona-Krise:In zwei Tagen zum Corona-Detektiv

Weil die eigenen Angestellten ausgelastet sind, setzt das Starnberger Gesundheitsamt nun auf Lehrer, Soldaten oder Polizisten. Sie werden geschult, um Kontakte von Infizierten nachvollziehen zu können.

Von Lisa Bullerdiek

Bei Ermittlern denkt man an Tatort. An Spurensicherung. An Verhöre. Ermittler heißen aber auch die, die während der Corona-Pandemie und besonders jetzt während der zweiten Welle die möglichen Kontakte von Infizierten nachvollziehen, kategorisieren, kontaktieren. Ermitteln heißt in diesem Fall also vor allem: nachfragen, Excel-Tabellen ausfüllen und schlechte Nachrichten überbringen.

In Starnberg hat am Mittwoch eine zweitägige Schulung begonnen, um neue Helfer für das Gesundheitsamt auszubilden. Damit sollen die Teams von zehn auf 35 Vollzeitstellen wachsen. Im großen Saal der Schlossberghalle lernen Leute, die eigentlich Lehrer, Soldaten oder Polizisten sind, wie sie Kontakte nachvollziehen können. Laut Landrat Stefan Frey dringend notwendig: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesundheitsamt "arbeiten am Anschlag", sagt er, um alle Menschen im Landkreis zu finden, die sich möglicherweise mit dem Corona-Virus infiziert haben.

Mitarbeiter des Gesundheitsamtes erklären auf einer Leinwand alles, vom E-Mail-Zugang bis zur richtigen Art, Menschen anzurufen und sie nach Symptomen und Wohnverhältnissen zu fragen. Die Schulung erinnert ein bisschen an den ersten Tag in der Uni: wenige Fragen, gezückte Stifte und ab und zu nervöses Lachen. Die Kontaktverfolgung selbst läuft so ab: Wird jemand positiv auf Corona getestet, geht der Befund ans Gesundheitsamt. Darauf ist auch meist die Telefonnummer der betroffenen Person angegeben, die dann einen Anruf erhält. In einer E-Mail folgen Informationen zur Quarantäne. Infizierte müssen eine Tabelle mit möglichen Kontaktpersonen ausfüllen, die dann ebenfalls vom Gesundheitsamt angemailt werden. Auch ihnen wird Quarantäne verordnet.

Kompliziert wird es erst bei der Technik und den vielen Begriffen, die künftige Ermittler lernen müssen. Einige der Zuhörer in den fünf Stuhlreihen kratzen sich am Kopf, als es um die Programme geht, die sich die Helfer herunterladen müssen. Gerhard Galdia vom Gesundheitsamt verspricht aber: "Ihr müsst es einmal selber machen", dann sei das ganz einfach. Ähnlich verhalte es sich mit den linguistischen Nuancen der Ermittlertätigkeit. Indexpersonen sind die positiv getesteten, KP 1 sind alle direkten Kontaktpersonen. "Direkt" ist dabei wichtig, also Face-to-Face ohne Maske, mit wenig Abstand und "kummulativ" - denn es zählt die gesamte gemeinsame Zeit während der infektiösen Phase.

Die bunte Teilnehmermischung in der Schlossberghalle hat ihre Gründe, sagt Ursula Flemisch, die Koordinatorin der verschiedenen Teams. Die Lehrer seien hier, weil sie sich freiwillig gemeldet haben, einige davon schon im Frühjahr, als es den Lockdown gab und sie deswegen nicht unterrichten durften. Die Polizisten habe die Koordinationsstelle der Polizei vermittelt. Und Soldatinnen und Soldaten seien erschienen, weil das Gesundheitsamt einen Antrag stellte. Von diesem Freitag an werden 18 Soldatinnen und Soldaten nur mit der Kontaktnachverfolgung beschäftigt sein. Probleme mit dieser Regelung zeigen sich in der Mittagspause, als sich zukünftige Ermittler mit eingepackten Sandwiches in der Hand um die Koordinatorin Flemisch scharen - mit Abstand, versteht sich. Zwei Polizisten wissen nicht, ob sie weiter Fahrradschulungen in den Schulen machen können, für mehrere Lehrer ist es neu, dass sie nun zunächst in Vollzeit für das Gesundheitsamt tätig sind. Das müsse sich noch fügen, sagt Flemisch. Sie sei aber erleichtert: "Für uns ist es nicht mehr handlebar." Um Zustände wie in Garmisch-Partenkirchen zu verhindern, wo Kontakte nicht mehr nachzuvollziehen seien, sei man auf die neuen Mitarbeiter angewiesen: "Wir geben noch nicht auf."

Am Nachmittag erklären Carolina Abel und Verena Röhrig-Wöllner die Kontaktverfolgung an Beispielen. Zuerst ist es nur ein Musterbeispiel, dann zeigen sie kurz die wirklichen Tabellen, die Namen und Zahlen - und ob jemand ins Krankenhaus musste oder nicht. Am Anfang der Pandemie seien die Leute freundlich gewesen, sagt Flemisch, jetzt seien viele genervt, wenn sie als Kontaktperson identifiziert und in Quarantäne müssten. Sie könne das verstehen. "Die Leute werden in dem Moment richtig aus dem Leben gerissen."

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Quelle:
SZ vom 29.10.2020
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