Landkreis-Delegation in Taiwan:Nummern ziehen wie daheim

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Beim Antrittsbesuch in New Taipei City offenbaren sich der Starnberger Reisegruppe ungewöhnliche und vertraute Anblicke.

Von Astrid Becker

Das Erste, was an diesem Tag ins Auge sticht, ist die deutsche Flagge. Eigens für die Starnberger Delegation ist sie vor dem Rathaus der Stadt New Taipei gehisst worden. Als Willkommensgruß gewissermaßen. Denn das Zusammentreffen, das hier im 18. Stock des 33 Stockwerke hohen Gebäudes stattfinden soll, ist ein besonderes. Erstmals in der Geschichte der seit 1985 bestehenden Partnerschaft werden die Starnberger hier nicht mehr auf einen Landrat treffen wie in all den Jahren zuvor, sondern auf einen Bürgermeister. Sein Name ist Eric Chu, und mit ihm und seinen Mitarbeitern aus den einzelnen Referaten wollen sich die Starnberger über sozialen Wohnungsbau, über Abfallwirtschaft und Tourismus austauschen.

Bevor das geschehen kann, steht ein kleiner Rundgang um das Hochhaus an. Da offenbaren sich aus Starnberger Sicht ungewöhnliche Dinge. Vor dem Rathaus stehen einige Zelte, und ganz offensichtlich übernachten darin auch Menschen. Unter Not leiden sie aber nicht. Sie wollen nur die Ersten sein. Am Samstag werden hier 120 Hochzeitspaare getraut, und die Stadtverwaltung hat ihnen Geschenke versprochen, eine kleine Hochzeitsreise beispielsweise in einen anderen Teil der Insel oder auch eine Waschmaschine. Diese Geschenke werden verlost, und um dies ja nicht zu verpassen, wird der Rathausvorplatz eben in einen Campingplatz verwandelt. Aufregung erzeugt das hier nicht, das wird einfach so hingenommen.

Ebenso erstaunt reagieren die Starnberger auf das Rathaus selbst. Denn hier sind nicht nur Verwaltung und Politik untergebracht, sondern beispielsweise auch ein Schönheitssalon oder diverse Geschäfte. Schnell offenbart sich hier, dass selbst ein Besuch beim Bürgerservice immer auch mit Zerstreuung und Erlebnis verbunden sein kann. Im Bürgerservice sitzen die Beschäftigten ähnlich wie im Starnberger Landratsamt in einem großen Raum, wenngleich die taiwanische Variante dann doch eher einem Großraumbüro ähnelt als einer Art Foyer. Schreibtisch an Schreibtisch wird hier gearbeitet, recht viel Diskretion kann es hier nicht geben. Eine Gemeinsamkeit fällt jedoch auf: Auch die Bürger hier müssen Nummern ziehen und warten, bis sie an die Reihe kommen. Fotografiert werden darf hier nahezu alles, zumindest von den Starnbergern. Denn sie besitzen schon zu diesem Zeitpunkt ein Recht, das ihnen der Bürgermeister Eric Chu erst später einräumen soll: "Sie können sich alles hier ansehen und sich dabei immer auf mich berufen."

Ganz so einfach ist das dann doch nicht mit dem "alles ansehen". Die Zeit ist knapp, das Programm streng getaktet. Punkt 14 Uhr hat die Delegation beispielsweise zum Treffen mit Chu im Sitzungssaal des Rathauses zu erscheinen. Auch dort ist der Terminkalender eines Stadtoberhauptes voll. Sogar so voll, dass Chu sich zwar als angenehmer Gesprächspartner bei Tee und Gebäck entpuppt, den Austausch zu den Sachthemen dann aber doch lieber den Zuständigen aus den Referaten überlässt. Austausch heißt hier: Zu allen drei Themenbereichen zeigen die Taiwaner Filme. "Hübsche Bilder", nennt das die Kraillinger Bürgermeisterin Christine Borst im Anschluss. Ihr obliegt es, den Verband Wohnen und damit den Sozialen Wohnungsbau im Landkreis Starnberg zu präsentieren. Mit vielen Zahlen, "typisch deutsch", wie sie es selbst nennt. Dabei wird klar: In Taiwan ist alles größer, sogar die Häuser, die hier für sozial Schwächere gebaut werden. Ein typisch deutscher Vergleich: Im nächsten Jahr werden in New Taipei City 7000 Wohnungen fertig sein. Der Verband Wohnen im Fünfseenland plant für die kommenden Jahre gerade mal 250 neue Wohnungen. Allerdings leben in der Metropolregion Taiwans knapp vier Millionen Menschen, im Landkreis sind es gerade einmal 135 000.

Selbst die Eigentumsverhältnisse von Immobilien sind etwas anders gelagert: 83 Prozent besitzen ein Eigenheim, in Starnberg sind es knapp 52 Prozent. Ein Problem allerdings haben beide Partner gemeinsam: Flächenknappheit und damit verbunden hohe Immobilienpreise. Ganz Taiwan gehört noch immer zu den am dichtesten besiedelten Gebieten der Welt. Dabei ist die Insel gerade mal halb so groß wie Bayern, hat mit seinen etwa 23 Millionen Menschen aber doppelt so viele Einwohner. Gerade für junge Familien oder auch Alleinerziehende ist Wohnraum praktisch unerschwinglich.

Bürgermeister Chu will seine Stadt für alle lebenswert machen, so lange er noch im Amt ist. Im Herbst sind Wahlen, und Chu darf nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten. Was er in den vergangenen Jahren geleistet hat, findet der Starnberger Landrat Karl Roth beachtlich. New Taipei City, beim vergangenen Besuch im Jahr 2010 noch Taipeh County, sei unglaublich gewachsen, vor allem in die Höhe, sagt Roth. Und auch Pressesprecher Stefan Diebl, der das erste Mal 1997 hier war, sagt: "Damals hatten die Häuser hier alle nur ein paar Stockwerke."

Nummer ziehen und warten: Das kennt Landrat Karl Roth auch von seiner Behörde. (Foto: Astrid Becker)

Sauber sei es auch geworden, fügt der Landrat hinzu. Bei der Abfallbeseitigung unternimmt die Stadt große Anstrengungen. Sie verfügt über eine eigene Müllverbrennungsanlage, die sich bei der Energieversorgung nahezu aus sich selbst speist. Die Hitze, die bei der Verbrennung des Abfalls erzeugt wird, wird in Energie verwandelt. "Umweltthemen sind uns wichtig", hatte Chu bei dem informellen Treffen zuvor bekundet. Bei der eigenen Müllverbrennung muss Starnberg allerdings passen, wie Kreisrat Oswald Gasser in seiner Präsentation verdeutlicht. Denn das rechne sich nicht für so einen kleinen Landkreis. Dafür seien die Wege zur Anlage nach Augsburg mit etwa 50 Kilometern kurz gewählt. Beim Recycling allerdings "haben wir noch Nachholbedarf", sagen die Taiwaner angesichts der Zahlen aus Starnberg. Gasser spricht von weit mehr als 80 Prozent des Starnberger Mülls, der wieder recycelt werde.

Regionalmanagerin Lena Hüttl und Klaus Götzl, der stellvertretende Geschäftsführer der Gesellschaft für Wirtschaftsförderung- und Tourismusentwicklung im Landkreis Starnberg (Gwt) beeindrucken die Taiwaner schon allein durch die Tatsache, dass das Fünfseenland sich mit "StarnbergAmmersee" eine eigene Marke zugelegt hat. Diese bekunden auch sofort, diese Marke auf der offiziellen Website ihrer Stadt zu präsentieren: "Damit wollen wir die Taiwaner dazu anregen, bei ihren Reisen nach Europa auch den Landkreis zu besuchen." Götzl dürfte dies besonders freuen. Denn er sagt: "Die Zahl von 1200 Übernachtungen aus Taiwan im Jahr bei uns ist noch ausbaufähig."

© SZ vom 13.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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