Süddeutsche Zeitung

Kunstaktion:Das blaue Wunder

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40 Bildhauer, Maler und Fotografen aus der Ammersee-Region verwandeln das alte Freibad in Greifenberg bei ihrer einzigartigen Aktion "Kunst geht baden" in einen Abenteuerspielplatz und bieten Verrücktes und Verspieltes

Von Armin Greune, Greifenberg

Diese einmalige Gelegenheit will die Künstlerszene im Umfeld des Ammersees nicht verpassen: Mehr als ein Hektar abbruchreifes Gelände steht bereit, um sich ohne Rücksicht auf Verluste auszutoben. Und das nicht etwa in der Großstadt in einer verlassenen Fabrik, sondern in einem idyllischen Freizeitgelände, mit dem viele Menschen angenehme Erinnerungen verbinden. Ein Areal, das ein wenig aus der Zeit gefallen wirkt und selbst eine schier unübersehbare Masse an Inventar birgt, das die kreative Fantasie anregt. Die Rede ist vom 1972 eröffneten Warmbad Greifenberg, das nur eine Minute von der gleichnamigen Anschlussstelle der Lindauer Autobahn und einen Kilometer vom Ammersee entfernt liegt. Dort will in den kommenden Jahren der Landkreis Landsberg ein neues Bad im kleineren Maßstab bauen lassen, die Gemeinde Greifenberg hofft auf einen Hotelneubau mit Gastronomie nebenan.

Bevor aber in diesem Sommer die Abrissbagger anrücken, werden die 20 Räume, vier Becken und großzügigen Freiflächen zum Schauplatz von "Kunst geht baden". Dieses nicht nur für das Fünfseenland einzigartige Event hat Elemente von Documenta, Woodstock und Burning Man (dem jährlichen Happening in der Wüste von Nevada): Vom 1. Mai an finden in Greifenberg fünf Tage lang Aktionen, Performances und Konzerte statt; 40 Kulturschaffende stellen Skulpturen, Fotografien, Video-Arbeiten oder Malerei aus. Die Liste der Mitwirkenden umfasst fast alle namhaften Künstler aus dem Fünfseenland und dem Lechrain sowie einige Münchener Gäste. Die Bildhauer Josef Lang (Denklingen) und Matthias Rodach (Dießen) sind darunter, die Multimediakünstler Ben Goossens (Dießen) und Peter Dietz (Utting) und die Dießener Lichtkünstlerin Vanessa Hafenbrädl.

Die Idee, das seit Herbst 2017 leer stehende Bad für eine Kunstaktion zu nutzen, tauchte vor einem Jahr auf. Zunächst ergriff die Dießener Kreisrätin und Malerin Annunciata Foresti die Initiative - bis sie merkte, dass sie mit der Vorbereitung des Events überfordert war, weil sie gleichzeitig die Landsberger Kreiskulturtage zu organisieren hat, die am 11. Mai beginnen. Dann verfolgte ein Herrschinger Kollektiv das Projekt auf der anderen Seite des Sees weiter, das eine Idealbesetzung zu sein schien: Die "Künstler aus dem Einbauschrank" haben bereits leer stehende Villen im Fünfseenland bespielt und im vergangenen Jahr ein ehemaliges Kaufhaus in Herrsching in einen Musentempel verwandelt. Doch auch ihnen wuchs der organisatorische Aufwand mit dem geforderten Sicherheitskonzept über dem Kopf. So stand das Festival im Januar vor dem Aus.

Als Retter sprangen daraufhin die "Freischwimmer" ein: Der Maler und Objektkünstler Axel Wagner, der Kalligraph und Performancekünstler Andreas Kloker aus Schondorf sowie der Dießener Maler und Autor János Fischer übernahmen die Projektleitung. Seit Ende März wird nun geputzt, geräumt, gemalert und gewerkelt: Viele Künstler widmen sich nicht nur ihren Werken, sondern beteiligen sich auch an den Arbeiten im Bad, die allen Protagonisten und Besuchern zugute kommen. Dennoch schätzt Axel Wagner seinen gesamten Zeitaufwand für das Projekt auf 700 Stunden, als Greifenberger verbringt er täglich fünf Stunden in der Anlage. Noch immer ist er von ihrem kreativen Potenzial begeistert: "Mir fällt so viel ein, an jeder Ecke gibt es etwas, das einen anspringt".

Wagner, der das Warmbad seit Jugendtagen kennt und lange ein Atelier im Gautinger Schlosspark hatte, beginnt den Rundgang im Umkleidebereich: Dort erhält jeder Künstler einen Spind zur Selbstdarstellung, in dem er sein Projekt vorstellen kann. In den Umkleidekabinen schafft Stefan Wehmeier mit Keramik und Spiegeln ungewohnte Begegnungen, nebenan hat Wagner eine "Klanginstallation für Rüpel" zusammengestellt. Um so zarter, fast lyrisch wirkt "Das Piece vom Schwimmbad" von Thomas Silberhorn, der in einem Glasgefäß ein Pflaster im Wasserstrom tanzen lässt. Tanzen wird auch Katalin Fischer, die mit ihrer Nichte, der Dressurreiterin Rahel Schröder, auf dem Pferd eine Flamenco-Choreografie einstudiert. Neben viel Jux werden auch ernste Themen angeschnitten: Felix Maizet etwa hat für die Installation "Last Exit Lampedusa" 200 Schubkarren Sand neben dem Babypool zum Strand aufgeschüttet.

Wagner gibt längst nicht alles preis, was für "Kunst geht baden" geplant ist, schließlich wollen die Künstler auf ihrem Riesen-Abenteuerspielplatz ihrem Publikum noch Überraschungen bereiten. So manche Performance oder Aktion steckt auch noch immer in der Ideen- oder Entwicklungsphase, andere leben vom Zusammenspiel mit den Besuchern. "Die Becken sind gefüllt mit verblüffender Fantasie und einem kapitalistischem Froschkönig, Schwimmflügel fliegen Formationen, eine Riesenlunge atmet, und stumme Köpfe erscheinen im Sand." Wagner verspricht "von der Garderobe bis zum Heizungskeller Erstaunliches, Verrücktes, Seltsames, Provokantes und Verspieltes". Im Maschinenraum werde gerade ein Raumschiff installiert, von den Bäumen lasse Franz Hartmann überdimensionale Teebeutel tropfen, auf der Liegewiese will Nuë Ammann in ihrer Text-Installation "Sonnenregen" den Sommerhimmel auf die Erde holen.

"Alle, die wir eingeladen haben, waren sofort euphorisiert", sagt Wagner. Inzwischen hätten sich unzählige weitere Interessenten gemeldet. Bei der Auswahl haben sich die Freischwimmer "streng an Künstlern aus der Region orientiert, die nicht nur Wände bestücken, sondern auch Räume gestalten können." Vor allem aber soll das finale Fünf-Tages-Fest zum Abschied vom Sommerbad als einmaliges Spektakel allen 60 Mitwirkenden und Beteiligten in guter Erinnerung bleiben.

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Quelle:
SZ vom 25.04.2019
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