Kunst:Die Entführung der Kessler-Zwillinge

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Im Warmbad Greifenberg tummeln sich allerlei komische Gestalten. Es gibt einen wundersamen Zauberwald und unheimliche Katakomben. Das alles nennt sich "Kunst geht baden"

Von Katja Sebald, Greifenberg

Die Freibadsaison ist eröffnet! Die Becken sind gefüllt, die Sonnenschirme aufgestellt, der Sand geharkt, Bar und Küche bestückt. Vierzig Künstler haben Greifenberg ein Erlebnisbad beschert, in dem alles möglich ist - außer baden gehen. Sie bespielen die vier Becken, die Liegewiesen, die Duschen und die Umkleiden, ja sogar die Hausmeisterwohnung und den Heizungsraum des in die Jahre gekommenen Warmbads, um es für einige Tage in einen Kunstparcour zu verwandeln, bevor es abgerissen und neu gebaut werden soll. "Kunst geht baden" heißt das höchst ungewöhnliche und ungewöhnlich opulente Spektakel, für das die drei "Freischwimmer" Axel Wagner, Janos Fischer und Andreas Kloker verantwortlich zeichnen.

Eine Installation mit dem Titel "Armduscher". (Foto: Arlet Ulfers)

Zu sehen gibt es Kurioses und Witziges, Erschreckendes und Anrührendes, Politisches und Poetisches. Am spannendsten sind dabei zweifelsohne die Arbeiten, die entweder auf die Architektur des in den 1970er Jahren errichteten Bades oder auf die ursprüngliche Funktion der Gebäude eingehen, die Vorgefundenes aufgreifen und den Relikten der Badegäste von einst ein neues Leben einhauchen.

Eine ebenso raumgreifende wie in ihrer schwarzen Schlichtheit formal überzeugende Arbeit ist etwa das riesige atmende "Unruhekissen", das der Schondorfer Künstler Andreas Kloker in einem der großen Schwimmbecken installiert hat. Von großer Zurückhaltung sind die weinroten Samtüberzüge, die Angelika Högerl den Einstiegsleitern des großen Beckens verpasst hat, um feierlich die beendete Nutzung des alten Freibads zu manifestieren.

Das Greifenberger Freibad wird abgerissen. Bis kommenden Sonntag wurde ihm noch einmal künstlerisches Leben eingehaucht. Hier ein Sandkasten der besonderen Art. (Foto: Arlet Ulfers)

Felix Maizet hat einen wundersamen Zaubergarten geschaffen, indem er die vielen schwimmbadtypischen grauen Kleiderbügel mit den blauen Netzen auf einer von Bäumen bestandenen Terrasse in die Freiheit entlassen hat, wo sie sich nun zwischen den Ästen der Ahorne in riesenhafte Schmetterlinge verwandelt haben. Völlig überdimensioniert sind auch die tropfenden Teebeutel, die Franz Hartmann in den Bäumen auf der Liegewiese aufgehängt hat. Zusammen mit einer Klanginstallation und einigen pistazieneisgrünen Plastikliegestühlen entsteht ein merkwürdig surrealer Ort, an dem die Besucher vom ganz großen Sprung träumen dürfen.

Vergoldete Freibadikonen, von der Badehose bis zu den unvermeidlichen Fritten - "Kunst geht baden" ist einzigartig. (Foto: Arlet Ulfers)

Merkwürdig sind freilich auch die beiden hölzernen Badegäste, die mit Hilfe des Bildhauers Matthias Rodach nach Greifenberg gekommen sind: Der dickliche Herr am Beckenrand hat sich zwar mit einem rosaroten Schwimmreifen getarnt und seine junge Begleiterin rekelt sich lasziv auf einer der zahlreichen Plastikliegen, ihre reliefartige Reptilienhaut aus winzigen Würfeln ist jedoch ein deutlicher Hinweis darauf, dass die beiden Fremdlinge von einem anderen Planeten stammen müssen.

Die Aktion "Kunst geht baden" im Greifenberger Warmbad; hier "Last Exit Lampedusa" von Felix Maizet. (Foto: Arlet Ulfers)

Merkwürdige Dinge fand auch Gesine Dorschner auf ihren Streifzügen durch die Umkleiden und die Duschräume: Aus einer vergessenen Badehose, einem verlorenen Fingerring, einem alten Haargummi, einer verblassten Saisonkarte und einer rosaroten Slipeinlage entstand eine wundersam poetische Dokumentation von vielen Sommern Glück im Freibad.

Und wer meint, dass er sich jetzt schon genug gewundert hat, der war noch nicht in den Katakomben des Schwimmbads, wo noch immer der Bademeister haust und sich überhaupt Ungeheuerliches abspielt: Schwimmnudeln längst vergangener Epochen haben hier überlebt. Eine weitere Außerirdische mit drei Brüsten rast in ihrem Raumschiff durch den Maschinenraum: Sie hat die Kessler-Zwillinge entführt und hält sie in den Heizungskesseln gefangen. Wer weiß, was noch alles passiert, wenn jemand an all den glänzenden Hebeln und Schaltern hantiert - schon jetzt ist das Dröhnen und Wummern im Bauch des Bademonsters gewaltig. Die "Ästheten-WG", bestehend aus den Künstlern Dirk Eckert und Christof Jenauth, hat sich mit dem Klangkünstler Enno Müller-Spaethe zusammengetan, um für ein augen- und ohrenbetäubendes Spektakel zu sorgen.

Die riesigen Teebeutel, die vom Baum hängen oder auf dem Rasen stehen sind eine der Installationen von 40 Künstlern auf dem Freibadgelände Greifenberg. (Foto: Arlet Ulfers)

Nur eine einzige Sache gibt es an diesem Badespaß zu kritisieren: Es ist mehr als schade, dass man sich diesmal keine Saisonkarte kaufen kann - sondern dass in ein paar Tagen alles wieder vorbei ist.

Kunst geht Baden, Warmbad Greifenberg, 1. bis 5. Mai 2019, bei freiem Eintritt täglich von 11 bis 20 Uhr geöffnet, am Sonntag bis 16 Uhr. Abends Programm mit Konzerten und Performances für zehn Euro Eintritt. Weitere Infos im Internet unter www.kunstgehtbaden.de.

© SZ vom 02.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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