Expressionismus:Von Rot bis Blau

Expressionismus: Das Rot von "Der Brücke" und das Blau des "Blauen Reiters" - das macht in der neuen Ausstellung im Buchheim-Museum viele Wände lila.

Das Rot von "Der Brücke" und das Blau des "Blauen Reiters" - das macht in der neuen Ausstellung im Buchheim-Museum viele Wände lila.

(Foto: Georgine Treybal)

In der Kunstgeschichte wird die Künstlergruppe "Die Brücke" oft nur als Vorstufe für den "Blauen Reiter" angesehen. Eine Ausstellung im Buchheim-Museum in Bernried versucht diese Vorstellung zu hinterfragen.

Von Pauline Graf

Es sind Werke der zwei wohl größten Vertreter-Gruppen des deutschen Expressionismus - und diese kommen jetzt nach Bernried ins Buchheim-Museum: 200 Exponate von "Der Brücke" um Ernst Ludwig Kirchner und Karl Schmidt-Rottluff und vom "Blauen Reiter" mit Wassily Kandinsky und Franz Marc werden dort bis einschließlich 13. November gezeigt. Eröffnen wird die Ausstellung an diesem Samstag, in seinen Gedanken sei diese aber schon vor sieben Jahren entstanden, erzählt Museumsdirektor Daniel Schreiber stolz.

Die Ausstellung ist eine Kooperation des Buchheim-Museums mit den Chemnitzer Kunstsammlungen und dem Von-der-Heydt-Museum in Wuppertal. In Bernried werden neben Gemälden - 65 aus dem eigenen Depot und 96 Leihgaben, darunter auch welche aus dem Münchner Lenbachhaus - auch 84 Arbeiten auf Papier und 16 Dokumente gezeigt. Es stünden sich "die Hauptwerke der beiden Gruppen in einem üppigen und intensiven Dialog gegenüber", wie das Museum mitteilen lässt: "Wir laden einfach zum sinnlichen Schauen ein", ergänzt Museums-Chef Schreiber im Gespräch.

Expressionismus: Brücke und Blauer Reiter - das ist oft gar nicht so unterschiedlich. Das Bild "Kopf in Blau" des Blaue-Reiter-Vertreters Alexej von Jawlensky zum Beispiel...

Brücke und Blauer Reiter - das ist oft gar nicht so unterschiedlich. Das Bild "Kopf in Blau" des Blaue-Reiter-Vertreters Alexej von Jawlensky zum Beispiel...

(Foto: Georgine Treybal)
Expressionismus: ...hat durchaus Ähnlichkeit mit dem "Lesenden" von Brücke-Mitgründer Karl Schmidt-Rottluff.

...hat durchaus Ähnlichkeit mit dem "Lesenden" von Brücke-Mitgründer Karl Schmidt-Rottluff.

(Foto: Georgine Treybal)

Aber man soll nicht nur "schauen", sondern am besten auch denken: Als Clou der Ausstellung weist Schreiber auf die einzelnen lilafarbenen Wände hin - Lila als Mischung aus dem "abstrakten Blau der Blauen Reiter" und dem "figurativen Rot der Brücke". Auf jeder Wand hängt gleichberechtigt genau ein Werk der Brücke-Künstler und eins der Blauen Reiter. Diese vergleichende Präsentation lade dazu ein, die kunsthistorisch strenge Trennlinie zwischen den beiden Gruppen "neu abzustecken" - jeder Besucher so, wie er sie persönlich stecken würde.

Dresden, 1905: Der 23-jährige Architekturstudent Erich Heckel möchte mit drei kunstbegeisterten Kommilitonen - sie heißen Ernst Ludwig Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff und Fritz Bleyl - eine Gruppe gründen. Alle vier malen leidenschaftlich gerne, aber bei der Namensfindung hakt es. Er schreibt in sein Tagebuch: "Eines Abends sprachen wir auf dem Nachhauseweg wieder davon. Schmidt-Rottluff sagte, wir könnten das Brücke nennen - das sei ein vielschichtiges Wort, würde kein Programm bedeuten, aber gewissermaßen von einem Ufer zum anderen führen." Die Künstlergruppe "Die Brücke" war geboren. "Wohin wir genau kommen würden", wofür sie genau standen, das sei lange nicht sicher gewesen, erinnerte sich Heckel später - wahrscheinlich war auch deshalb die Namensfindung so schwer. Klar sei nur gewesen, wovon sie weg wollten - nämlich von alten Konventionen, malerisch wie politisch, Hauptsache Aufbruch, Hauptsache Freiheit. Sie wollten eben eine Brücke bauen - in die moderne Zeit.

Die Brücke-Gemälde an den Buchheim-Wänden sind von einer freudig bunten Farbpracht

"Damals gab es sehr viele junge Gruppen, die durch die Welt liefen und diese aufgenommen haben", erzählt Daniel Schreiber vom Buchheim-Museum. "Und das verarbeiteten sie in der Kunst." Dabei gelte "Die Brücke", später mit Mitgliedern wie Emil Nolde und Max Pechstein, in ihren Werken als Pionierin des figurativen Expressionismus. Die Brücke-Gemälde an den Buchheim-Wänden sind von einer freudig bunten Farbpracht, die Künstler malen Porträts Stadt-, Natur- und Liebesszenen: So sind zum Beispiel Ernst Ludwig Kirchners "Bildnis Gerda" (1914) und die "Norwegische Landschaft" (1911) von Karl Schmidt-Rottluff in Bernried zu besichtigen.

Expressionismus: "Ich glaube, dass die Grenze weniger zwischen den Gruppen, als innerhalb der Gruppen verläuft": Museumsdirektor Daniel Schreiber.

"Ich glaube, dass die Grenze weniger zwischen den Gruppen, als innerhalb der Gruppen verläuft": Museumsdirektor Daniel Schreiber.

(Foto: Georgine Treybal)

Wassily Kandinsky war zur Jahrhundertwende 1900 schon 34 Jahre alt. Als er zusammen mit Franz Marc 1911 die Redaktionsgemeinschaft des "Blauen Reiters" gründete, hatte er sich davor einen Namen in der Neuen Künstlervereinigung München machen können, er war vielleicht etablierter als die sogenannten "jungen Wilden" um "Die Brücke", aber auch die Blauen Reiter suchten eine "Ausdrucksform für den Drang zur Demokratie und zur Freiheit", sagt Daniel Schreiber. Dafür greifen die Künstler in ihren Werken im Buchheim-Museum unter anderem auf Themen wie Natur, Tierwelt - auch Franz Marcs berühmter "Fuchs" (1911) und seine "Blauen Fohlen" (1913) sind zu sehen - oder auch auf Porträts zurück.

Die Künstler der Brücke und die um den "Blauen Reiter", unter ihnen auch Gabriele Münter und Marianne von Werefkin, die mit einzelnen Werken im Buchheim-Museum vertreten sind, lernten sich untereinander persönlich kennen, besuchten sich, schätzten sich und stritten miteinander.

Expressionismus: Noch ein Vergleich: "Das gelbe Haus" von Alexej von Jawlensky ("Blauer Reiter").

Noch ein Vergleich: "Das gelbe Haus" von Alexej von Jawlensky ("Blauer Reiter").

(Foto: Georgine Treybal)
Expressionismus: Und der "Dorfweg" von Karl Schmidt-Rottluff ("Die Brücke").

Und der "Dorfweg" von Karl Schmidt-Rottluff ("Die Brücke").

(Foto: Georgine Treybal)

Deshalb gibt sich Daniel Schreiber mit der kunsthistorisch gängigen Theorie, "Die Brücke" stehe für den figurativen, der "Blaue Reiter" für den abstrakten Expressionismus, in seiner Bernrieder Ausstellung nicht zufrieden. Mit dieser These gehe oft die Auf- und Abwertung der einen oder der anderen Gruppe einher - und die Annahme, die Brücke sei nur "eine Vorstufe der Blauen Reiter gewesen", so Schreiber. Dem gab zum Beispiel "Documenta"-Kurator und Kunsthistoriker-Größe Werner Haftmann 1955 Zuspruch: "Die deutsche Moderne ist eine Evolution von der ,Brücke' zum ,Blauen Reiter'" - eben aus dem realistischen Stil in die Abstraktion. Das stimmt nicht ganz, findet Daniel Schreiber: "Ich glaube, dass die Grenze weniger zwischen den Gruppen, als innerhalb der Gruppen verläuft."

Um von dieser Annahme zu überzeugen oder auch um sie zu hinterfragen, hat Schreiber wohl die direkte räumliche Nebeneinanderstellung der Werke - einheitlich einen Blauen Reiter und eine Brücke pro Wand - gewählt. Und das vor rot-blauem Hintergrund.

Außerdem, passend zum "sinnlichen Schauen", zu dem das Museum Besucher einlädt: An acht ausgewählten Daten im August und September bietet die neue PR-Referentin des Hauses, Claudia Lamas Cornejo, halbstündige Yoga-Sessions für alle an, die zu diesem Zeitpunkt mit Rückenschmerzen in der Ausstellung umherlaufen: "Ich weiß, dass man sich bei den langen Steh- und Gehzeiten im Museum manchmal stretchen will", sagt sie. So den Körper zu spüren, ihn zu dehnen, sei auch eine "sinnliche Erfahrung", so Lamas Cornejo. Ihr Yoga-Angebot heißt aus gegebenem Anlass: "Brücke, Reiter, Hund".

Die Ausstellung läuft vom 16. Juli bis 13. November im Buchheim-Museum in Bernried, am Hirschgarten 1. Der volle Eintrittspreis beträgt zehn Euro, ermäßigt fünf Euro. Für Kinder gibt es ein Rätsel-Mitmach-Heftchen, für kleine Besucher unter sechs Jahren ist der Eintritt zudem kostenlos. Weitere Informationen und Vorab-Buchung von Onlinetickets unter: https://www.buchheimmuseum.de/

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