Kultur:Reise nach Jerusalem

Noah Cohen spricht in Berg über seine Israel-Fotos

Von Gerhard Summer, Dießen/Berg

Manchmal fliegt einem ein Bild zu, wenn man nicht mehr damit rechnet. Noah Cohen war mit seiner Kamera den ganzen Tag in Tel Aviv unterwegs gewesen, die Dämmerung setzte schon ein. Der Fotograf, der diesen Donnerstag in Berg über seine Arbeitsweise und seine Faszination für Jerusalem berichten wird, wollte nur noch ins Auto steigen und zu seiner Familie fahren. Das Problem: Er hatte sich weder die Marke des kleinen weißen Mietwagens gemerkt noch darauf geachtet, wo er das Fahrzeug geparkt hatte.

Vom Meer her wehte der Wind, Cohen schlich herum und drückte die Taste am Autoschlüssel, um zu hören, ob an einem der abstellten Wagen eine Tür aufklackte, als eine Vespa an ihm vorbeifuhr und einen Papierschweif hinter sich her zog. Der Fahrer transportierte Büromaterial, eine Böe hatte den Papierstapel erfasst und die Blätter über den Asphalt getrieben. Cohen war so geistesgegenwärtig, dreimal auf den Auflöser seiner Kamera zu drücken und die flatterhafte Szene festzuhalten. "Es ist ein bisschen wie auf der Jagd", sagt er. "Die Sinne müssen scharf sein, du musst vorbereitet sein, oft bleibt nur der Bruchteil einer Sekunde, dann ist das Bild weg."

Kultur: Noah Cohen zeigt in Berg seine Bilder.

Noah Cohen zeigt in Berg seine Bilder.

(Foto: Noah Cohen)

Der 64-Jährige weiß, wovon er redet: Vor drei Jahrzehnten hat es den gelernten Elektroingenieur aus dem quirligen Tel Aviv ins beschauliche Dettenschwang bei Dießen verschlagen, seitdem ist er in zwei Welten unterwegs und nimmt Schlittenfahrer auf dem zugefrorenen Ammersee, Maibaumfeste und eine ackernde Bäuerin in Finning genauso auf wie Beduinenkinder in der Wüste und Pilger in der Grabeskirche. Denn Cohen reist jedes Jahr für zehn oder 14 Tage in seine alte Heimat, besucht seine Schwestern, Freunde und Neffen und macht sich mit der Kamera auf die Pirsch. Er fotografiert in Tel Aviv und Jerusalem, hält Straßenszenerien fest, einen pilzförmigen Saftladen und die Aussicht vom Ramon-Krater in der Negev-Wüste, seinem Lieblingsplatz, wo man sich fühlt, "als wäre man auf dem Mars gelandet".

Heraus kommen dabei Bilder in der Tradition von Henri Cartier-Bresson, der zu Cohens Vorbildern gehört: scheinbar beiläufig entstandene Fotos, oft in Schwarzweiß. Aufnahmen, die nicht auftrumpfen oder überrumpeln wollen, die auf spektakuläre Weise unspektakulär sind und oft kleine Geschichten erzählen. "Man muss ein Bild wie einen Text behandeln", sagt Cohen. "Das Thema muss klar sein." Die digitalen Fotos bearbeitet er am PC, sein alter Beruf kommt ihm dabei zugute. Als Elektroingenieur wandelte er nämlich analoge Radarbilder in digitale Aufnahmen um. Im Gegensatz zu anderen Fotografen kommt Cohen mit kleiner Ausrüstung aus. Jahrelang hatte er eine einzige Kamera, inzwischen ist eine zweite dazu gekommen. Wenn er auf Tour geht und Streetfotografie macht, kommt er meist mit zwei Objektiven aus. Sein neues Projekt: der architektonische Wandel in Tel Aviv. Der israelische Lichtbildner, der in seiner Heimat an der Hochschule für Fotografie Camera Obscura studiert hat und nun selbst an der Journalistenakademie und der Volkshochschule München Kurse gibt, hält die neuen kühnen Türme und zylinderförmigen Bauten fest, die mit dem traditionellen Bauhaus-Stil in Tel Aviv kontrastieren. Derzeit ist er noch auf der Suche nach einer Galerie im Landkreis, um die Fotos zu zeigen.

Kultur: Lektüre in der Grabeskirche.

Lektüre in der Grabeskirche.

(Foto: Noah Cohen)

Der Wahl-Dießener würde nicht in Jerusalem leben wollen, aber die Stadt fasziniert ihn trotzdem: "Alles brodelt unter der Erde, jeder Stein ist mit Geschichte vollgesogen." Schließlich sei der Tempelberg so oft zerstört und wieder neu aufgebaut worden, "dass man überall, wo man gräbt, wieder eine Schicht findet". Jerusalem sei "ein Mikrokosmos, eine Welt für sich mit eigener Kunstszene, Kaffeehäusern mit Tanzpodium und vier Vierteln, dem christlichen, muslimischen, armenischen und jüdischen. Und jeder darf seine Religion ohne Beschränkung ausüben". Eine der eindrücklichsten Szenen, die er dort erlebt hat, hielt er in einem Fotos fest: eine weinende Frau an der Klagemauer. Noah Cohen ist nicht religiös, wie er sagt. Für ihn ist das Bild trotzdem ein Symbol der Hoffnung.

Der Fotograf spricht an diesem Donnerstag im Katharina-von-Bora-Haus in Berg über "Jerusalem: Bilder, Geschichten, Anekdoten" und zeigt eine Auswahl von Dias. Beginn ist um 19.30 Uhr.

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