Süddeutsche Zeitung

Kultur:Ratespiel und Raserei

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Die Companie Johanna Richter arbeitet sich im Gautinger Bosco dynamisch durch sechs Shakespeare-Dramen, indem sie Texte durch Tanz ersetzt. Am Ende ist auch das Publikum erschöpft

Von Ute Pröttel, Gauting

Zum ersten Mal hat Hans-Georg Krause vom Gautinger Theaterforum ein Tanztheater in seine Schauspielreihe aufgenommen. Zu Recht: Denn das Programm "For you my love!" arbeitet sich durch sechs große Shakespeare-Dramen. Für Theaterfreunde ist der Auftritt der Companie Johanna Richter im Bosco am Dienstagabend ein bisschen wie ein Quiz, um welches Stück es sich gerade handelt.

Und doch lassen sich alle Dramen identifizieren. Spätestens als einer der fünf Performer vogelgleich über die Bühne stolziert und mal die Nachtigall, mal die Lerche gibt, ist klar: Hier wird aus "Romeo und Julia" zitiert. Desdemonas Taschentuch aus "Othello taucht auf, und der bucklige "Richard III" mordet sich durch die Reihe der Protagonisten. Weiter mit von der Partie sind "Hamlet", "König Lear" und "Macbeth". Es wird viel gekämpft und viel getötet. Die Kampfszenen hat Regisseurin Johanna Richter von Heinz Wanitschek choreografieren lassen. So sieht sie eben aus, die Welt in Shakespeares Dramen. Die Helden sind gezeichnet von Radikalität, sie sterben und töten im Wirbel ihrer tragischen Konflikte.

Dies in modernen Tanz umzusetzen, erweist sich als durchaus spannende Herausforderung: Zwei Tänzer und drei Schauspieler stellen sich dieser Aufgabe. Das Intro-Video zu Beginn mutet dabei ein wenig wie eine Bewerbung für eine Casting-Show an: Die Darsteller zeigen schon mal, dass sie die Shakespeare'sche Emotionalität drauf haben. Eindrucksvoll wie sich einer von ihnen förmlich das Herz aus dem Leib reißt und ihm beim Pulsieren verzweifelt zusieht. Aber wo bitte bleiben Julia, Ophelia und Lady Macbeth, die starken weiblichen Charaktere in Shakespeares Werken? Frauen gehören nicht zum Ensemble - wie das zu Shakespeares Zeiten auch üblich war. Die Frauenrollen werden also von den Männern performt: Während die schöne Julia dabei eher schwach bleibt, gelingt die Darstellung von Hamlets Mutter Königin Gertrude wesentlich besser. Auch Ophelia ist in den Bewegungen des barttragenden Tänzer in ihrer Charakteristik gut erkennbar. Der Zuschauer gewöhnt sich an die Sichtweise.

Facettenreich bringen Tim Bergmann, Saša Kekez, Búi Rouch, Moritz Ostruschnjak und Jannis Spengler die bekannten Geschichten auf die Bühne. Die pantomimische Darstellung von "König Lear" zu einer gerafften Inhaltsangabe aus dem Off dauert gerade einmal acht Minuten, untermalt wird sie von jazzigen Trompetentönen. Die Tragödie um Othello und Desdemona wird inszeniert zu den unfassbar schönen Klängen von Aretha Franklins "Sweet bitter love".

Und auch wenn Hamlets berühmtes "Sein oder Nichtsein" nicht ganz ohne Worte auskommt, so behält doch die Bewegung als Kommunikationsmittel, ja Sprache die Oberhand. Die Darsteller kreieren Bilder, mal langsam und getragen, mal dynamisch und sehr herausfordernd. Sie treten in Anzug und Krawatte auf, legen im Laufe des Abend höchstens das Jackett ab und benutzen nur wenige Requisiten: eine Krone, ein paar Schwerter. Auch das durchaus interessante Bühnenbild bleibt bloß rahmender Hintergrund.

Gegen Ende treibt Shakespeare auch die modernen Performer in den Wahnsinn. Die blutrünstige Handlungen von "Macbeth" und "Richard III" inspirieren zu Choreographien, die an Martial Arts-Filme erinnern. Dem Publikum wird das dann doch etwas zu anstrengend: Jetzt-ist-aber-mal-gut-Applaus setzt ein. Die fünf im Machtkampf verknäulten Darsteller entflechten sich. Streben auseinander, versöhnen sich paarweise. "How far would you go for love?", wie weit gehst du für Liebe, heißt die Frage im Video-Clip, der am Ende noch einmal einsetzt. Eine Antwort gibt er nicht.

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Quelle:
SZ vom 11.01.2018
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