Süddeutsche Zeitung

Kultur:König Ludwig und der Kreisverkehr

Der Starnberger Verein "Weitwinkel" feiert sein zehnjähriges Bestehen mit der Fotoausstellung "Faszination, Realität und Wahnsinn" in der Kreissparkase

Von Katja Sebald, Starnberg

Ist das jetzt noch Realität, oder ist es schon Wahnsinn? Bei den Luftaufnahmen, die Jörg Reuther vom Bau des Kreisverkehrs am Herrschinger Ortseingang gemacht hat, ist man sich da nicht so ganz sicher. Stefan Pielow wiederum überlegte nicht lange und drückte auf den Auslöser, als er König Ludwig II. am Bahnhof in Starnberg zwischen den Säulen herumflitzen sah. Im Zweifel ist sowieso alles Kunst. Erika Schalper jedenfalls entdeckte die fast poetische Schönheit von Pfützen und rostigen Metallteilen auf der Baustelle beim Landratsamt. Der Verein "Weitwinkel - Forum für Film und Kultur im Fünfseenland" feiert in diesem Jahr sein zehnjähriges Bestehen. Sieben Fotografen waren eingeladen, zum Jubiläum ihren ganz persönlichen Blick auf den Landkreis zu zeigen: Entstanden ist die kleine, aber feine Ausstellung "Faszination, Realität und Wahnsinn", die am Donnerstagabend in der Kreissparkasse eröffnet wurde.

Das "Sugarland", wie es Andreas Hoffmann in seinen zwei stillen und zugleich spektakulären Fotografien zeigt, gehört zwar nicht zum Landkreis, ist aber doch ein Wahrzeichen für das Fünfseenland: Er fotografierte die Antennen der Erdfunkstelle Raisting am südlichen Ammerseeufer und das kleine barocke Kirchlein daneben, das seinen Zwiebelturm ebenfalls in Richtung Himmel reckt. Allerdings machte er zwei verschiedene Aufnahmen, nicht wie üblich beides als Kontrast auf einem Bild. Seine beinahe monochromen, weiß überzuckerten Szenerien wirken wie Traumlandschaften.

Katharina Kreye hingegen begab sich für ihre Fotoserie "Treppenauflauf" mitten ins Herz des Landkreises: Sie setzte fünf Menschen und drei Hunde auf den Aufgang zur Schlossberghalle in Starnberg und hielt ihnen einen großen Spiegel vor. Sie selbst stand mal vor und mal hinter der Spiegelfläche, zwischendurch liefen ihr Passanten ins Bild, und manchmal wedelte ein Hundeschwanz vor dem Objektiv. Das Ganze ist ein zwar schwarzweißes, aber dennoch irgendwie kunterbuntes Verwirrspiel.

Antje Bultmann hat sich auf das Fotografieren von Wasser spezialisiert. Von raffinierten Spiegelungen bis hin zu abstrakt anmutenden Farbflecken, die durch Lichtreflexe in fließenden Gewässern entstehen, lotet sie alle Nuancen ihres Themas aus. Dabei kann es durchaus geschehen, dass sie geheimnisvolle Wasserfrauen und Seeungeheuer entdeckt. Um die Faszination, die diese Wasserwelten auf sie ausüben, auch für den weniger fantasiebegabten Betrachter sichtbar zu machen, bearbeitet sie ihre Aufnahmen zuweilen am Bildschirm - und manchmal kann sie dann der Versuchung nicht widerstehen, gleich noch etwas hineinzumontieren.

Pavel Broz zeigt zwei Aufnahmen, die mit einer Drohne entstanden sind: surreal anmutende Seenlandschaften in geradezu übernatürlich anmutenden, kühlen Blautönen. Erika Schalper plädiert für die viel zu wenig beachtete "Temporäre Kunst am Bau". Und auch Jörg Reuther, der den Bau des Herrschinger Kreisverkehrs in einer Vorher-, Zwischendrin- und Nachherreihe dokumentiert, hat Sinn für Schönes: Die Porträts von alten Menschen mit Gesichtern, die von einem gelebten Leben erzählen, decken eindeutig den ersten Teil des Ausstellungstitels ab, die Faszination.

Stefan Pielow hat sich dem Wahnsinn verschrieben: Er fotografierte den fast echten Ludwig II., der im Hermelinmantel den Geheimnissen des MVV-Fahrplans auf die Spur kommen will, am Fotoautomaten eine Fahrkarte kaufen will, an den Tücken der Technik verzweifelt und in seinen "Wartesaal für allerhöchste Herrschaften" eilt, ihn aber ganz ohne Dienerschaft und Polstersessel vorfindet. Kein Wunder, dass er verrückt geworden ist.

Die Ausstellung ist bis zum 9. November im Foyer der Kreissparkasse in Starnberg zu sehen.

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Quelle:
SZ vom 19.10.2019
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