Kultur:Jazz aus dem Effeff

Beim Plattenflohmarkt sind die Liebhaber unter sich

Von Berthold Schindler, Feldafing

Drei Männer stehen am Bartresen, trinken ein Bier, in einer Stunde ist Anpfiff zum Länderspiel Frankreich gegen Deutschland in Paris. Der Fußball lässt sie aber kalt, heute zumindest. Erwärmen lassen sie sich nämlich von Schallplatten, gerne alt und besonders gerne mit Jazzmusik drauf. Die drei, das sind die Vorstände vom Verein "Jazz am See" in Feldafing: Bernhard Sontheim, erster Vorsitzender und Bürgermeister der Gemeinde, Matthias "Matches" Helbig, zweiter Vorsitzender, und Gottfried Keller, Beisitzer. Jazz am See hat sich zwei große Aufgaben auf die Fahne geschrieben: Auf der einen Seite tritt der Verein als Konzertveranstalter in Erscheinung. Zum anderen verwendet der Verein Geld und Mühe dafür, sein bereits beachtliches Jazzplattenarchiv auszubauen. Am Freitag gab es nun erstmals einen kleinen Flohmarkt.

"Hoffentlich kommt überhaupt jemand", sagt Bernhard Sontheim mit gespielter Sorge in der Stimme. Bis zum Beginn des Stammtischs im Café Max II. ist es freilich noch eine Weile hin. Sontheim lässt es sich nicht nehmen, der Handvoll früh gekommener Besucher schon vorab ein paar Dinge zu erzählen. Zum Beispiel erfährt man, was ein "R2D4" ist. Was nach einer Weiterentwicklung des berühmten "Star-Wars"-Roboters R2D2 klingt, ist in Wirklichkeit eine sogenannte "Record to die for", also eine Platte, die man um jeden Preis gerne in seiner Sammlung hätte. Nicht ohne Stolz in der Stimme merkt Sontheim an, dass der Verein im Besitz einer solchen Platte ist: "The Sweetest Sound", aufgenommen vom Elsie Bianchi Trio und vermarktet vom ersten europäischen Jazz-Label "Musik Produktion Schwarzwald" (MPS). Die begehrte LP wird auf dem Markt für 1000 Euro gehandelt. Sontheim hat sie dem Verein zur Verfügung gestellt, "der Verein kann sie besser brauchen, als wenn sie nur zuhause rumliegt".

Ein Schmuckstück ist eine 16-Zoll-Platte - normal sind zwölf -, die von den Amerikanern während des Zweiten Weltkriegs an die Front geschickt wurde, damit die in Europa angesiedelten Radiostationen zur moralischen Erbauung der GIs Jazzmusik abspielen konnten.

Den Stammtisch eröffnet er dann nicht ganz pünktlich mit einem Vortrag über die Geschichte des Plattenspielers. Schnell ist klar, dass die Jazzliebhaber alle erdenklichen Fakten zu Schallplatte, Plattenspieler und Jazz aus dem Effeff parat haben. Man lernt zum Beispiel, dass der große Erfinder Thomas Alva Edison auch die Entwicklung des Plattenspielers auf den Weg brachte und entscheidend vorantrieb.

Während des Vortrags streicht Sontheims Frau Gabriele Butterbrezn und verkauft Getränke. Ob sie auch so vom Jazz gepackt ist wie ihr Gatte? "Gezwungenermaßen", lacht sie. Die Männer vom Verein hingegen wissen genau, warum ihre Begeisterung für den Jazz entflammt ist: "Popmusik hat mich so genervt, immer dasselbe", sagt Vorstandsmitglied Helbig, der nach Sontheims Vortrag und vor dem Flohmarkt in seiner Präsentation ein gutes Dutzend Schallplatten des MPS-Labels vorstellt. "Etwa 500 Platten gibt es, rund 60 fehlen uns nur noch", wirft Sontheim noch schnell ein. Während die Lieder von Ella Fitzgerald bis Benny Goodman über die Lautsprecher schallen, erzählt der enthusiastische Helbig den mittlerweile eingetroffenen rund fünfzehn Gästen Anekdoten zu den einzelnen Aufnahmen, sichtlich bemüht, die Boxenmusik zu übertönen; wenn dies nicht gelingt, fuchtelt und tanzt er untermalend zu den Aufnahmen, die gleichermaßen mit interpretatorischer und klanglicher Qualität bestechen.

Als Helbig spät am Abend George Shearings Klassiker "Taking a chance on love" abspielt, fallen gerade die ersten Schüsse in Paris. Man kommt nicht umhin, zu denken, dass es der Welt gut tun würde, wenn es mehr solche Menschen gäbe, die ihre Leidenschaft der Jazzmusik widmeten.

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