Süddeutsche Zeitung

Kultur in Dießen:Klangbilder im Taubenturm

Lesezeit: 3 min

In der außergewöhnlichen Ausstellung "Grundrauschen" spielen sich sechs Künstler die Bälle zu und experimentieren im Grenzland zwischen Hören und Sehen

Von Katja Sebald, Dießen

In Dießen liegt Kunst in der Luft. Das hübsche Ammerseestädtchen zieht Kreative magisch an. Und wer sich dort erst einmal niedergelassen hat, der wird über kurz oder lang automatisch zum Künstler. Fünf "Zuagroaste" und ein gebürtiger Dießener haben nun dieses besondere Lebensgefühl zu einem einzigen großen Kunstwerk verdichtet: "Grundrauschen" heißt die gemeinsame Ausstellung von Nuë Ammann, Annunciata Foresti, Sabine Jakobs, Sylvia Meier, Elias Naphausen und Annette Rießner im Taubenturm beim Marienmünster, die jeder, wirklich jeder, Dießener besuchen sollte.

Konzept und Idee für das Projekt stammen von der Akkordeonistin Annette Rießner, die seit 2015 in Dießen wohnt und die den Taubenturm bereits während der diesjährigen Kreiskulturtage mit einer Konzertinstallation bespielte. Diesmal hat sie weitere Künstler mit an Bord geholt, die bereit waren, sich auf Experimente zwischen Hören und Sehen einzulassen. Rießner stellte ihnen zunächst Tonspuren mit O-Tönen aus Dießen zur Verfügung, auf die sie mit ihren eigenen künstlerischen Mitteln reagieren sollten. Die Musikerin wiederum antwortete auf die so entstandenen Werke mit mehr Musik und weiteren Toncollagen.

Rießner hatte Menschen auf der Straße das Mikrofon unter die Nase gehalten und sie gebeten "Sprich!" zu sagen. Die Fotografin Sabine Jakobs ließ sich von den so entstandenen Aufnahmen dazu anregen, Menschen zum Sprechen zu bringen: Während sie in ihrem Atelier vor der Kamera standen, sollten sie aus ihrem Leben in Dießen erzählen. Auch hier lief ein Band mit, das so wunderbare Sätze wie "Meine Tante war die schönste Frau in der Fischerei, damals" einfing.

Einer wollte nach Alaska auswandern, blieb am Ende doch am Ammersee und kaufte sich einen Husky: "Der is jetzt mei Alaska", sagt er. Eine andere ging nach Amerika und studierte Literaturwissenschaften, um dann zurückzukehren und den Fischereibetrieb der Familie zu übernehmen. "Es geht doch immer nur ums Verkaufen und Konsumieren", sagt sie. "Und hier am Ammersee lebe ich und brauche tagelang nichts weiter, das ist wahnsinnig entspannend."

Die beinahe lebensgroßen Aufnahmen werden von kleinen Zitatezetteln begleitet. Rießner hat diese Zitate, die Vergangenes und Gegenwärtiges abbilden, für die Ausstellungsbesucher zu einem Lied zusammengefügt. Und so geht es weiter: Die Holzbildhauerin Sylvia Meier hat sich mit den Symbolen aus Tradition und Handwerk in Dießen auseinandergesetzt. Sie hat der uralten Marienfigur aus dem Rathaus nachgespürt und dem Granatapfelmotiv, das sich auf dem Dießener Hafnergeschirr aus der Barockzeit findet. Die gebürtige Dresdnerin, die seit zwölf Jahren in Dießen lebt, kommt zu dem Ergebnis, dass es sich in Bayern "zwischen Himmel und Erde königlich leben lässt".

Eine Überraschung erwartet die Besucher im zweiten Stock, wo die Wortkünstlerin Nuë Ammann zum ersten Mal ganz ohne Worte auskommt: Sie ließ sich von einer Aufnahme mit See- und Bachgeräuschen aus Dießen inspirieren, faltete einen Wasserfall aus Papier, das sie mit Ammerseewasser geschmeidig gemacht hatte, nahm auf weißem Papier Abdrücke von den Planken eines Stegs und formte aus dem vielfach geflickten und schon ein wenig vergilbten Segel des Boots, mit dem sie in Kindheitstagen über den Ammersee schipperte, ein kunstvolles Objekt. Bei einem gefalteten Wasserfall dachte die Musikerin an Bach, natürlich Johann Sebastian Bach. Und so widmete sie der Künstlerkollegin mit dem Präludium BWV 847 als Vorlage einen feinsinnigen musikalischen Wasserfall. Die Malerin Annunciata Foresti entschied sich, zwei Tonaufnahmen "abzumalen", Rießner wiederum machte aus den so entstandenen wellenförmigen Bildern eine neue Komposition.

Im obersten Turmstübchen schließlich zeigt der Medienkünstler Elias Naphausen, der in Dießen aufgewachsen ist, seine Installation "signal-to-noise-ratio": Weil der Mensch zwar Stunden, Tage und Jahre wahrnehmen, aber nicht das Hier und Jetzt als Zeitraum erfassen kann, dehnte er den Augenblick zum großen Rauschen: Winzige Zwei-Sekunden-Schnipsel aus Rießners Aufnahmen, etwa das Zwitschern eines Vogels am Bach oder den Moment, in dem Wollgang Lösche das Wort "Blaumalerei" ausspricht, verlängerte er auf die Dauer von sieben Minuten. Zu jedem seiner Dießen-Sounds zeigt er auch eine optische Umsetzung, für die er die Datenpunkte der Aufnahmen zu einem rhythmisches Grisaille-Bild programmierte. Es entsteht eine Raumsituation zwischen Kontemplation und Verstörung.

Die Ausstellung "Grundrauschen" ist nur noch am kommenden Wochenende, Samstag und Sonntag jeweils 14 bis 18 Uhr, im Dießener Taubenturm zu sehen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4528622
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 18.07.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.