Kultur:Die Jagd auf Niederlagen

Andreas Greve hat früh festgestellt, dass ihm immer ein Witz einfällt. Er ist dann erst mal Journalist geworden. In Pöcking trug er nun durchaus tiefgründige Gedichte vor - unter dem Motto "Mal lyrisch, mal lustig"

Sylvia Böhm-Haimerl

PöckingSchon in seiner Jugend hat der Lyriker und Satiriker Andreas Greve festgestellt, dass ihm immer ein Witz einfällt und er sogar auf schwerste Schicksalsschläge mit Galgenhumor reagiert. Und dieses Talent hat er zunächst als Reisereporter umgesetzt. Doch es mussten Jahre vergehen, bis der gebürtige Hamburger seinen Humor in Gedichtform verarbeitete. Unter dem Motto "Mal lyrisch, mal lustig" trug er in der Pöckinger Bücherei Gedichte "zum gelegentlichen Nachdenken und gerne auch zum Lachen" vor.

Pöcking Lesung Greve

Der Lyriker Andreas Greve bei seiner Lesung im alten Pfarrhaus in Pöcking. Foto: Georgine Treybal

(Foto: Georgine Treybal)

Gleich zu Beginn klärt Greve das Publikum darüber auf, dass einer, der Humor hat, keinesfalls albern sein muss. "Nur durch die Tragik kommt man zur Komik", sagt er, so wie man auch durch Komik im Übermaß traurig werden könne. Und er wirkt durchaus glaubwürdig, wie er da sitzt, sehr ruhig und sehr gerade, fast wie ein Baum, die Hände fest um die Tischkante gelegt. Da sitzt ein sehr ernsthafter Mensch, denkt man sich, einer der sich sicherlich jede Zeile, die er schreibt, genau überlegt. Und als er ankündigt, 430 Gedichte lesen zu wollen, in einer Stunde, mit einer Pause dazwischen wegen der Kirchenglocken, die in Pöcking jeden Abend läuten, geht ein Lächeln durch die Besucherreihen. Denn es ist klar, dass dieser Dichter keiner ist, der von Gedicht zu Gedicht hastet, ohne Punkt und Komma. Hier sitzt einer, der sich mit der Beziehung von Humor und Tragik beschäftigt. Und dann folgen Reime über die Gesellschaft und über das Leben. Immer sind es heitere Gedichte, die jedoch ähnlich wie bei Eugen Roth stets die Schwächen der Menschen unter die Lupe nehmen. Sie regen zum Nachdenken an, zaubern aber gleichzeitig ein leises Lächeln auf die Lippen.

Greve schreibt ein Sonett über den Papierspender in der öffentlichen Toilette ("der Erfinder dachte nicht zu Ende") und Gedichte über die Krise ("Krise ist, wenn ganz klar ist, dass von Nichts auch nichts mehr da ist") oder den Reichtum ("Reichtum ist nichts für Arme, denn er reicht knapp für die Reichen"). Er widmet der Emanzipation oder der Kunst ("man spricht von ihr und sieht sie nie"). Er lässt sich über die "optische Gewalt" der Architekten aus, über den Vollrausch eines Mannes oder das Wesen der Depression.

Und spätestens bei seinen Gedichten über den Dichter Demel - offensichtlich sein Alter Ego - gibt Greve etwas preis von sich selbst, von seinen Zweifeln. Diese Dichterfigur, die ständig Jagd macht auf Niederlagen, das Elend schätzt und um sich selbst kreist, hadert mit der Lebensleistung, müht sich mit jedem Satz ab und lässt sich über die Einsamkeit im Beruf aus. Für diese Figur ist es "die hirnrissigste Beschäftigung überhaupt", über das Leben zu schreiben, während man ihm den Rücken zukehrt und am Ende nicht mal gelobt wird.

Erst durch die Beschäftigung mit Cartoons sei sein Humor konzentriert geworden, sagt Greve. Auch zur Lyrik ist der studierte Kunstpädagoge, der später noch Zimmermann gelernt hat, sehr spät gekommen. Denn zunächst hat er mit dem Zeichnen begonnen, Geschichten illustriert und zusammen mit dem Wuppertaler Zeichner André Poloczek das Cartoonisten-Duo "Jünger und Schlanker" gegründet. Über seine Gedichte sagt der 59-Jährige: "Ein Gedicht ist ein hochinteressantes Sprachlabor. Das mache ich nur für mich, und vielleicht ergibt es irgendwann einen Sinn."

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