Süddeutsche Zeitung

Kultur:Der Boss und die anderen

Kabarettist Frank Lüdecke stellt im Gautinger Bosco sein neues Programm "Das Falsch muss nicht immer richtig sein!" vor und fordert sein Publikum mit schnellen Gedankensprüngen

Von Blanche Mamer, Gauting

Es scheint, als sei das Bosco in Gauting so etwas wie das Experimentierstudio für den Kabarettisten Frank Lüdecke. Als "Voraufführung" kündigt er sein neues Programm "Das Falsche muss nicht immer richtig sein!" an und entschuldigt sich vorab dafür, dass der Text noch nicht so ganz sitzt und er ab und zu zum Spickzettel greifen muss. Kann stimmen, muss aber nicht. Möglich wäre auch, dass das Teil seines Konzepts ist.

Man kennt ihn vom Fernsehen, eigentlich. Aus dem ZDF von der "Anstalt", vom "Satiregipfel" im Ersten. Eigentlich. Oder auch nicht. Es sei noch nicht so lange her, erzählt er gleich zu Beginn, da kam ihm auf dem Kurfürstendamm in Berlin ein Mann entgegen, strahlte ihn an: "Ich kenn' Sie, ich kenn' Sie, nein sagen Sie nichts, ich kenn' Sie. Jetzt weiß ich's. Haben Sie nicht unser Dach gedeckt?" Ein Satz, der eine Depression auslösen könnte, so Lüdecke. Das Publikum lacht. Lüdecke macht gleich weiter mit einem Reigen durch die Politikerriege. Die bayerischen zuerst, Scheuer, Söder "noch blöder", dann Thorsten Schäfer-Gümbel" der neue Willy Brandt", das wiederholt er gleich fünfmal. Und referiert dann über das mehr oder weniger große Kritikzentrum im Gehirn, das gleich neben dem Bereich für praktisches Handeln liegt und dieses nicht selten be- und verdrängt. Sein Großvater sei ja eigentlich in der NS-Zeit ein Widerständler gewesen, zur Tarnung sei er jedoch in die NSDAP eingetreten und habe es bis zum Obersturmbannführer gebracht. Jaja, das Richtige im Falschen, das sei nicht so einfach. Schon ist er bei der Klimadebatte, bei der Abwägung, statt eines neuen Diesels ein Elektroauto zu kaufen, was jedoch nicht als Alternative durchgeht, da allein bei der Herstellung so viel CO2 anfällt, dass man getrost zwei Jahre mit dem Diesel fahren könnte. Bleibt der Erwerb eines E-Scooters. Für den Weg von Magdeburg nach Berlin!

Der Mann in Grau, der die Bühne des Bosco beherrscht, liebt schwierige Fremdwörter, beispielsweise "autokatalytisch". "Was hat er gesagt?", fragt eine Frau ihre Nachbarin. Er ist schon bei der Erläuterung, die den Sinn allerdings auch nur bedingt klar macht. Wie war das bei den Naturvölkern wenn in ihrem Tal keine Beeren oder Pilze mehr zu finden waren? Dann zogen sie ins nächste Tal um und suchten dort, was es bei ihnen nicht mehr gab. Die Amis machten das gern, holten sich bei anderen die Ressourcen, die sie nicht haben. Seine gedanklichen Sprünge und Herleitungen sind nicht immer sofort und klar nachzuvollziehen. Im Grunde ist er zu schnell für die Zuhörer. Während sie noch bei autokatalytisch sind, ist Lüdecke längst wieder bei der deutschen Politik und bei Anja Karliczek. Wer ist nochmal Anja Karliczek? Seit März 2018 ist sie Bundesministerin für Bildung und Forschung im Kabinett Merkel und als gelernte Bankkauffrau und Hotelfachfrau nur bedingt gerüstet, sich um die flächendeckende Digitalisierung zu kümmern.

Die Digitalisierung verändere jedenfalls unser Kritikzentrum, sagt Lüdecke. Es schrumpfe, der Mensch könne nur noch einen Bruchteil der tausenden von Sinneseindrücken verarbeiten. Beispiel: Frau Lüdecke. Sie soll sich gefragt haben, wie eine Olympiasiegerin im Hochsprung zur Terroristin werden konnte? Der kluge Gatte erkannte: Seine Frau hatte Ulrike Meyfarth mit Ulrike Meinhof verwechselt. Echt jetzt?

Ähnliche sei es bei der Bildung. Schließlich halte ein Großteil der Abiturienten Heraklit für einen Dämmstoff. Vielen Jugendlichen fehle die Orientierung. Schuld können laut Lüdecke nur die sozialen Medien sein. Wer früher eine Schlosserlehre gemacht habe, sei jetzt fit als Influencer mit Hunderttausenden von Followern. Tja, und dann sei da noch sein Nachbar, die Dumpfbacke schlechthin, der kein Hobby habe außer Laubsaugen. Da ist es nicht weit zum Thema Grundeinkommen und Gedanken über Unsummen fürs Nichtstun, wie bei Mesut Özil, der 400 000 Euro pro Woche verdiene fürs "nicht Fußballspielen". "Ich spiele auch nicht Fußball, warum bekomme ich das nicht?" Oder Martin Schulz, der als Präsident des EU-Parlaments jährlich 111 000 Euro Sitzungsgeld steuerfrei bekam, ganz ohne an den Sitzungen teilzunehmen. Aber bedingungsloses Grundeinkommen für alle - wo kämen wir denn da hin?

Immer wenn es zu ernst wird, greift Lüdecke zur Gitarre. Seine Songs mit Texten über einheimische Politiker gehen ins Ohr. Schließlich basieren sie auf Hits von John Lennon, Simon & Garfunkel und Billy Joel. Er singt von Angela Merkel, die immer noch der Boss ist - und von Annegret Kramp-Karrenbauer und Friedrich Merz, die's gerne wären.

Zum Schluss noch ein kleiner Wink in eigener Sache: Wer nach Berlin reist, könnte eventuell die Kabarettbühne im Europazentrum "Die Stachelschweine" besuchen, die er seit August 2019 betreibt.

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SZ vom 20.01.2020
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