Kultur:Aus einer versunkenen Welt

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Franziska Bronnen erinnert in einer Konzertlesung im Gautinger Bosco an die Blütezeit der Stadt Czernowitz und die Freundschaft zwischen Paul Celan und Edith Silbermann. Das Diogenes Quartett spielt dazu Musik von Pierre-Dominique Ponnelle

Von Katja Sebald, Gauting

"Das Allerschönste kann man nicht sagen", schrieb Ninon Ausländer, die damals 15-jährige Tochter eines jüdischen Rechtsanwalts in Czernowitz, nach der Lektüre seines Romans "Peter Camenzind" an den Schriftsteller Hermann Hesse. Zwanzig Jahre später wurde sie seine Frau. Czernowitz war die "Stadt, in der Menschen und Bücher lebten". Die Schauspielerin Franziska Bronnen ließ sie am Donnerstagabend im Bosco noch einmal lebendig werden. Und was nicht mit Worten gesagt werden konnte, erklang in der Musik von Pierre-Dominique Ponnelle, gespielt vom Diogenes Quartett. Es gibt viele Geschichten, die in Czernowitz beginnen. Die Hauptstadt des k.u.k.-Kronlandes Bukowina war die Heimat bedeutender Schriftsteller wie Rose Ausländer, Paul Celan, Itzik Manger, Elieser Steinbarg, Selma Meerbaum-Eisinger und Gregor von Rezzori. An diesem Abend aber rankt sich alles um die lebenslange Freundschaft zwischen Edith Silbermann und Paul Celan, die an einem Sonntagnachmittag, irgendwann zwischen den Weltkriegen, in Czernowitz ihren Anfang nahm - in jener Stadt am Pruth, "wo die Hunde die Namen olympischer Götter tragen und die Hühner Hölderlin-Verse in den Boden kratzen", wie Georg Heinzen schrieb. Die Familien Horowitz und Antschel besuchten einander zum Kaffee, und ihre Kinder freundeten sich an. Wenn Paul spätabends Edith besuchen wollte, pfiff er unter ihrem Fenster die Melodie von "Au Clair de la lune". Aus Edith Horowitz wurde später Edith Silbermann, aus Paul Antschel erst in der rumänischen Schreibweise Paul Ancel und dann durch Silbenumkehrung Celan. Aus einer Jugendliebe wurde eine tiefe Freundschaft und schließlich auch das literarische Zeugnis "Begegnung mit Paul Celan".

Wo einst sogar Hühner Hölderlin-Verse in den Bodenkratzten: das Diogenes Quartett mit Stefan und Gundula Kirpal, Alba Gonzales I Becera und Stephen Ristau (von links). (Foto: Arlet Ulfers)

Die Erzählungen von Edith Silbermann, die ihre Heimatstadt bis zu ihrem Tod 2008 nie vergessen hatte, inspirierten den Komponisten Pierre-Dominique Ponnelle zu seinem 3. Streichquartett. Jenes französische Kinderlied scheint darin auf, und fast lautmalerisch meint man Erinnerungen an Abendgesellschaften und geistreiche Gespräche zu hören, aber auch Sehnsuchtsvolles und Schmerzhaftes, die Trauer über die untergegangene jüdische Kultur und die Geschichten, die in Czernowitz hoffnungsvoll begannen und nicht selten ein furchtbares Ende nahmen. Gespielt wird es an diesem Abend vom feinsinnigen Diogenes Quartett, bestehend aus Stefan Kirpal und Gundula Kirpal an den Violinen, Alba Gonzales I Becerra an der Viola und Stephen Ristau am Violoncello. Auch der Komponist war anwesend.

Schauspielerin Franziska Bronnen bei ihrer Konzertlesung im Gautinger Bosco. (Foto: Arlet Ulfers)

Franziska Bronnen liest mit großer Zurückhaltung und gleichzeitig mit ebenso großer Präsenz, wenn sie ihre Zuhörer mitnimmt in jene einstmals blühende und heute versunkene Stadt, in der mehr als ein Drittel der Bevölkerung jüdisch war. Sie leiht den unterschiedlichen Schriftstellern ihre Stimme - vor allem aber der wichtigsten Zeitzeugin Edith Silbermann: Diese berichtet auch von einem späten Wiedersehen mit dem Jugendfreund im Jahr 1964. Da war Paul Celan bereits ein berühmter, mehrfach ausgezeichneter Schriftsteller. Verfolgung, Ghetto, Lager, Zwangsarbeit, die Deportation der Eltern und das Gefühl der Schuld am eigenen Überleben hatten ihn gebrochen, sein Gesicht und seine Gestalt auf erschreckende Weise verändert. Als sie schließlich 1970 noch einmal sein Foto im Fernsehen sah, dachte sie zunächst, er habe wieder einen Preis bekommen - aber es war die Nachricht von seinem Freitod. Auch das Allerschrecklichste kann man nicht sagen.

© SZ vom 09.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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