Süddeutsche Zeitung

Kultur:Auf Wersons Spuren

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Gemeindearchivarin und der Verein Zeitreise zeichnen in einer Ausstellung das Leben des Künstlers nach, der 1920 die Villa Forner bezog

Von Blanche Mamer

Gilching Es war einmal ein Dorf im Südwesten von München, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts inmitten von Feldern, Wiesen und Wäldern vor sich hin schlummerte. Doch 1903 war es in Gilching mit der Ruhe vorbei: Die Bahnstrecke Pasing-Herrsching wurde eröffnet; mit dem Haltepunkt veränderten sich die Nachbardörfer Gilching und Argelsried für immer. Es war nicht nur der Beginn des Bevölkerungswachstums, sondern auch der Ansiedlung von Künstlern, reichen Geschäftsleuten und des Baus neuer Villen.

Von all diesen noblen Landhäusern steht nur noch eines: das Wersonhaus an der Brucker Straße 11, das heute vom Gemeindearchiv und vom Verein Zeitreisen für Ausstellungen genutzt wird. Wie diese große alte Villa und ähnliche repräsentative Landhäuser das Gesicht Gilchings prägten, ist in der Ausstellung "Geschichte(n) rund ums Wersonhaus" zu sehen. Organisiert und zusammengestellt wurde sie von der Gilchinger Gemeindearchivarin Ursula Lochner und Annette Reindel vom Verein "Zeitreise Gilching".

Die historische Schau startet im Kachelofen-Zimmer, wo der Besucher vor einem großen fast zwei Meter breiten Schwarzweiß-Foto steht, einem Ortspanorama Gilchings von 1913. Aufgenommen hat es der Arzt Robert Weidner, der spätere Bewohner der Jugendstilvilla am Rande von Altdorf. Er fotografierte vom Leitenweg aus in Richtung Süden. Denn er wollte den Baugrund dokumentieren, auf dem sein zukünftiges Zuhause stehen sollte, erklärte Lochner bei der Ausstellungseröffnung. Mit roten Fäden sind die Stellen markiert, wo weitere Landhäuser entstanden.

Ringsherum an der Wand sind Bilder der Bewohner der verschiedenen Villen zu sehen. Fotografen gingen damals von Haus zu Haus, um die Einwohner gegen Bezahlung vor ihren neuen Häusern abzulichten, so die Archivarin. Die meisten dieser einzigartigen Fotos sind mittlerweile in einer Sammlung des Gemeindearchivs. Einige wurden jedoch erst bei der Planung der Ausstellung von den Nachkommen zur Verfügung gestellt, sagte Annette Reindel. "Ein paar von den Altgilchingern haben zudem weitere Geschichten beigetragen", erzählte sie. Als Villa Forner ging das heutige Werson-Haus in die frühen Annalen ein. Denn es war der Bauunternehmer Eduard Forner, der das repräsentative Gebäude errichtete, die Pläne stammen von Baumeister Melchior Fanger, dessen Familie auch Eigentümer des Sägewerkes war. Die beiden bauten auch einige andere Villen und prägten Gilching so an manchen Stellen.

In der Villa Forner wohnte zunächst der Allgemeinarzt Robert Weidner mit seiner Familie. Doch im März 1919 kaufte die wohlhabende Münchnerin Marie Lindemann das Haus Nr. 137, so die offizielle Bezeichnung. Sie war Mäzenin des belgischstämmigen Künstlers Jules Werson, dem das Leben in München nach dem Zusammenbruch des Deutschen Kaiserreiches und der Ermordung des bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner zu gefährlich wurde, so dass er ins Umland ziehen wollte. Die Wahl fiel auf Gilching. Solange der Mietvertrag mit Weidner noch lief, zog Werson mit Lindemann, die als Hausdame fungierte, nach Waging am See.

1920 dann der Umzug nach Gilching. 1923 bekam die Villa ihren neuen Namen, "Landhaus Zwei Birken". Zudem ließ Lindemann ein Atelier anbauen, wo Werson eine Zeichenschule einrichtete. Daneben stürzte er sich in die Gartenarbeit, ließ einen Rosengarten anlegen, dazu einen Teich, in dem die Damen das Hauses gelegentlich planschten. Und die Kinder des Dorfes versuchten, einen Blick durch die Hecke zu werfen. "Ohne die Erinnerungen der Gilchinger Bürger wüssten wir das nicht", sagte Reindel. Es wurde viel gefeiert in der Werson-Villa, vor allem im angebauten Tusculum gab es wilde Partys. Dem Leben des Künstlers ist der zweite Raum der Schau gewidmet. Hier gibt es zahlreiche Fotos, viele Zitate, kleine Originale und eine Reihe von Kuriositäten. Werson arbeitete nicht nur als Maler und Grafiker, er gestaltete auch Schmuck und schuf Figuren für die Passauer Porzellankunst.

Weil er nicht viel verdiente, begann er nach 1930, Grabsteine und Grabmäler zu entwerfen. Bekannt ist vor allem das Denkmal für gefallene Soldaten in seiner Geburtsstadt Malmédy in Belgien. Werson war ein begeister Sänger, Mitglied des Gesangvereins und sehr gesellig. Er war auch bekannt als Organisator von Faschingsbällen und Ausgestalter von Festzügen; die von ihm entworfene Vereinsfahne des Männergesangvereins ist heute noch im Gebrauch. Verdient gemacht hat er sich vor allem 1950 als Mitbegründer der Volkshochschule Gilching. In einer kleinen Computerschau bekommt der Besucher einen Eindruck von den Kunstwerken.

Die Ausstellung im Wersonhaus dauert bis 18. Februar, geöffnet ist sie jeweils Dienstag von 10 bis 12 Uhr und Sonntag von 14 bis 17 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 18.11.2017
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