Kunstgeschichte:Die Entstehung des Buberlskandals

Kunstgeschichte: Museumsreferent Thorsten Marr bei einer Führung durch die neue Ausstellung im Künstlerhaus Gasteiger.

Museumsreferent Thorsten Marr bei einer Führung durch die neue Ausstellung im Künstlerhaus Gasteiger.

(Foto: Arlet Ulfers)

Eine nackte Brunnenfigur erregte Ende des 19. Jahrhunderts die Gemüter in München. Dieser und anderen Geschichten kann man nun im Künstlerhaus Gasteiger am Ammersee nachspüren.

Von Katja Sebald, Utting

Auch in diesem Jahr hat das kleine Museum im Künstlerhaus Gasteiger in Holzhausen am Ammersee seit dem Sonntag vor Ostern wieder geöffnet. In den Staudenbeeten vor dem Haus blühen zwar noch die Christrosen und von den Tulpen sind erst ein paar grüne Blattspitzen zu sehen, drinnen aber kann man bereits die neue Sonderausstellung "Mathias Gasteiger in München - Fotos von einst und jetzt" besichtigen.

Von der Münchner Fotografin Maria Scherf stammen die großformatigen Aufnahmen von Gasteigers Skulpturen und Grabmälern in München, die Gasteigers eigenen Schwarzweißfotografien aus der Entstehungszeit der Kunstwerke gegenübergestellt werden. Auch einige kleinformatige Bronze-, Gips- und Marmorskulpturen ergänzen die aktuelle Präsentation. Eine Besonderheit in der kleinen Ausstellung ist der originale Gipsentwurf für den Kopf des sogenannten "Brunnenbuberls", der Gasteiger praktisch über Nacht berühmt gemacht hatte.

Mathias Gasteiger schuf sein bekanntestes Werk gleich zu Beginn seiner Karriere: Er war noch nicht einmal 22 Jahre alt, als er 1892 für seine Brunnengruppe "Satyrherme mit Knabe" mit einer Silbermedaille der Münchner Akademie geehrt wurde und auf der Internationalen Kunstausstellung im Münchner Glaspalast die Goldmedaille erhielt. Weitere Auszeichnungen, so etwa auf der Großen Berliner Kunstausstellung im Jahr 1893, folgten.

1894 war Gasteiger in der Ausstellung der Münchner Secession in Wien vertreten. Als er im selben Jahr die Brunnengruppe seiner Geburtsstadt München schenkte, entfachte das splitterfasernackte "Brunnenbuberl", gerade noch preisgekrönt und bejubelt, einen regelrechten Skandal. Die Auswahl eines geeigneten Standorts erwies sich als äußerst schwierig, denn man scheute sich, die unverhohlene, gleichwohl unschuldige Nacktheit allzu prominent zu präsentieren.

Kunstgeschichte: Das Aufstellen des Brunnenbuberls am Karlstor in München war ein regelrechtes Politikum.

Das Aufstellen des Brunnenbuberls am Karlstor in München war ein regelrechtes Politikum.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Schließlich wurde entschieden, Satyrherme und Knabe in den Grünanlagen am Stachus aufzustellen. Daraufhin ging ein Aufschrei durch die Presse, Schmähgedichte wurden verfasst, Postkarten und Karikaturen gedruckt. Prinzregent Luitpold höchstpersönlich soll den Künstler um ein bronzenes Feigenblatt für den gänzlich "unstilisiert nackt" dargestellten Knaben gebeten haben, aber selbst er wurde nicht erhört. Auch Felix Schlagintweit berichtet 1943 in seiner Autobiografie "Ein verliebtes Leben" von dem Skandal: "Jetzt steht das Brunnenbuberl am Stachus, vielleicht an einem zu durchhasteten Platz, und niemand hat eigentlich Zeit dafür. Und doch gab es, als es aufgestellt wurde, sehr kritische Betrachter, die sich entrüsteten, dass das Buberl nicht einmal ein Feigenblatt hatte. Ein öffentliches Ärgernis war es, bis ihm ein Witzbold über Nacht ein Schwimmhöschen überzog, was einen Tugendbold dazu brachte, den Marmor mit rächendem Anilin zu besudeln. Damit hörte der Spaß auf und das Gericht fing an."

Als gesichert darf gelten, dass die "Brunnenbuberlaffäre" für Gasteiger allerbeste Publicity bedeutete. In der Folge erhielt er mehrere große Aufträge, darunter noch im Jahr 1895 den für das Grabmal der Familie Banzer im Alten Südlichen Friedhof. Der Gastwirt Max Banzer hatte zwei Jahre zuvor seinen einzigen Sohn verloren. Gasteiger schuf ein monumentales Relief mit der vollplastischen Figur einer trauernden Mutter, die vor dem Grab ihres Sohnes sitzt und seiner aufsteigenden Seele nachschaut. Dieses Grabmal wird in der Ausstellung auch mit historischen Aufnahmen von verschiedenen Entwurfsstadien dokumentiert.

Kunstgeschichte: Der Kopf des Brunnenbuberls in Gips.

Der Kopf des Brunnenbuberls in Gips.

(Foto: Arlet Ulfers)
Kunstgeschichte: Die Bronzeskulptur "Der Tanz".

Die Bronzeskulptur "Der Tanz".

(Foto: Arlet Ulfers)

Aber nicht nur auf den Münchner Friedhöfen, auch auf öffentlichen Plätzen sind Gasteigers Kunstwerke bis heute zu sehen. Zu den prominenten Beispielen gehört der Dianabrunnen am Kufsteiner Platz. Auftraggeber war 1907 die "Terrain-Aktiengesellschaft Herzogpark München-Gern". Mit dem prächtigen Brunnen sollten angehende Käufer der Grundstücke im Herzogpark davon überzeugt werden, dass dort ein nobles Wohnviertel im Entstehen war. Die "Ringergruppe" auf dem Sportgelände am Schyrenplatz, die nun ebenfalls in mehreren Fotografien in der Ausstellung präsentiert wird, entstand bereits 1901. Und ein Reiter-Standbild kam 1934, in Gasteigers Todesjahr, auf dem Gelände der Trabrennbahn in Daglfing zur Aufstellung.

Das "Künstlerhaus Gasteiger", seit 1994 als Museum zu besichtigen, ist ein ebenso eindrückliches wie bedeutendes Zeitdokument für das sommerliche Leben am Ammersee-Westufer zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Mathias Gasteiger, zu seiner Zeit eine der prägenden Münchner Künstlerpersönlichkeiten, und seine Frau, die Blumenmalerin Anna Sophie Gasteiger, bildeten das Zentrum einer kleinen Kolonie von befreundeten Malern und Schriftstellern. Sie erweiterten ihr zunächst im Stil der Gründerzeit errichtetes, fast bäuerlich anmutendes Haus im Lauf der Jahre durch mehrere Anbauten zu einem bezaubernden Jugendstil-Ensemble.

Das Künstlerhaus Gasteiger ist noch bis zum 29. Oktober jeweils sonntags von 14 bis 17 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 4,- Euro, ermäßigt 3,- Euro.

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