Es war ein Glücksfall, dass Anna-Sophie Gasteiger es irgendwie schaffte, den Immobilienbesitz zu halten, als ihr Mann Mathias 1934 hoch verschuldet starb. Mit ihrer Malerei und den Mieteinnahmen des Münchner Hauses fristete die Witwe noch 20 Jahre lang ein bescheidenes Dasein im Domizil in Holzhausen am Ammersee. In Notzeiten grasten Kühe dort, die Milch verkaufte sie im Dorf, um das Einkommen aufzubessern. Ihre Ausdauer stellte sich als Glück für die Allgemeinheit heraus: Irene Faber-Gasteiger, einzige Tochter des Künstlerpaars, vermachte das Anwesen mit dem vier Hektar großen Ufergrundstück 1984 dem Freistaat - unter der Auflage, es der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Seitdem ist der nördliche Bereich als Badewiese abgetrennt, auch der angrenzende parkähnliche Garten steht das ganze Jahr über offen. Doch nur zwischen April und Oktober kann man sonntags das Künstlerhaus von innen besichtigen: Vom 6. April an finden jeweils von 14 bis 17 Uhr Führungen durch das Jugendstil-Kleinod mit Mini-Museum statt. Für Helga Schraidt, die diese Aufgabe fachkundig und anekdotenreich übernimmt, wird es nach mehr als einem Vierteljahrhundert die letzte Saison sein.
Formal ist die Schwiegertochter Faber-Gasteigers als Kastellanin der Schlösserverwaltung tätig, im Dorf ist die inzwischen 88-Jährige bloß als „die Frau Museum“ bekannt. Sie hat das Anwesen als junges Mädchen kennengelernt, von den 1950er-Jahren an lebte sie dort in einem Wirtschaftsgebäude, bis sie in jüngster Zeit nach Utting umzog.
Die Villa Gasteiger wird dennoch weiter von den indirekten Nachfahren des Künstlerpaars betreut. Seit einigen Jahren wird Helga Schraidt von ihren Kindern Susanne und Stefan bei Verwaltungsaufgaben, Führungen und Hochzeiten unterstützt. Und für die Seniorin rückt nun ihre Enkelin nach: Vorausschauend wurde Anna-Sophie Schraidt schon vor 37 Jahren nach der Malerin getauft. Wie Mutter und Onkel kennt sie das Anwesen „solange ich denken kann“. Hauptberuflich arbeitet sie für den Flughafen München, der Teilzeitjob als Kastellanin trägt bloß „verschwindend gering“ zum Einkommen bei.


Beim traditionellen Empfang der Schlösser- und Seenverwaltung vor dem Saisonstart im Künstlerhaus dankte Präsident Bernd Schreiber Helga Schraidt für ihren Einsatz: Sie habe das Anwesen „quasi wie ihr eigenes“ behütet. Obwohl er die unmittelbar dem Finanzministerium unterstellte Behörde seit 2011 leitet, war es sein Antrittsbesuch in Holzhausen - kurz bevor er im Mai in Pension gehen wird. Es wird wohl nicht der einzige Besuch bleiben: Wie der Präsident erzählte, will seine Tochter im Gasteiger-Haus heiraten.
Da könnten Beziehungen nicht schaden, denn Heiraten im romantischen Künstlerhaus ist begehrt. Drei bis vier Anfragen pro Woche nimmt Uttings Standesbeamtin Claudia Breier entgegen. Heuer sind 65 Eheschließungen vorgesehen, 2024 fanden 58 statt. Neun davon entfielen auf Uttinger Paare, deren Trauung ja kommunale Pflichtaufgabe ist. Wenn dann am 6. Oktober die Termine für 2026 vergeben werden, laufen wieder alle Telefone im Rathaus heiß. Nach zwei bis drei Stunden gehe meist nichts mehr. „Es gab Leute, die dann geweint haben“, erzählt Breier.
In der Spitze fanden 222 Hochzeiten im Jahr in der Villa statt
Früher war Gasteigers Stube noch weit öfter mit Heiratswilligen belegt: Der Höhepunkt war 2006 mit 222 Paaren erreicht. Selbst wenn jeweils nicht mehr als 20 Personen zugelassen sind, fürchtete die Schlösserverwaltung zu starken Verschleiß ihres Baudenkmals und schränkte die Zahl der Hochzeiten ein. Doch auch die regulären Gäste haben abgenommen: Kamen vor zehn Jahren noch rund 1500 Museumsbesucher, konnte man 2024 bei den Besichtigungen nur noch 989 Teilnehmer begrüßen. Anna-Sophie Schraidt führt dies auf den begrenzten Einzugsbereich zurück: „Wir haben nur regional Bedeutung - und dieser Interessentenkreis ist nun ein bisschen abgegrast.“ Um Leute zum wiederholten Mal anzulocken, kann man bei Gasteigers zu wenig Neues anbieten. Raum und finanzielles Budget sind dafür zu eng gestrickt.
Dennoch wartet die Schlösserverwaltung auch heuer wieder mit einer Neuerwerbung auf. Es handelt sich um ein Frühwerk von Anna-Sophie Gasteiger: 18-jährig hielt sie 1895 eine Diele in ihrer Lübecker Heimat auf Leinwand fest. „Sie hat als Schülerin schon sehr altmeisterlich gemalt“, urteilt Kurator Thorsten Marr. Im Jahr darauf zog Anna-Sophie Meyer, wie sie damals noch hieß, zur künstlerischen Ausbildung nach München; 1898 wechselte sie an die Mal- und Bildhauerschule, die Julius Exter und Mathias Gasteiger und in Schloss Deutenhofen bei Dachau gegründet hatten. Noch im selben Jahr heirateten Anna-Sophie und der nur sechs Monate zuvor geschiedene Mathias.

Anders als bei ihrem Mann lässt sich bei ihr klar eine künstlerische Weiterentwicklung erkennen. Ihr Malstil wird zunehmend farbkräftiger, der Pinselstrich immer selbstbewusster. Die Motive wechselten von Landschaftsbildern über kleine Raumausschnitte mit Schnittblumen zu den spätimpressionistischen Blumenstillleben, für die Anna-Sophie Gasteiger noch heute bekannt ist.
Die Vermarktung der Bilder als Kalender und Postkarten sicherte ihren Lebensunterhalt in schwierigen Zeiten. In den kommenden Jahren soll im Künstlerhaus der Nebenraum wieder ins ehemalige Atelier zurückverwandelt werden, sagt Schlösserverwaltungspräsident Schreiber, „es sind noch ausreichend Requisiten da“. Es werde zwar noch einige Jahre dauern, aber so ließe sich „die Emotionalität erzeugen, die es hier noch braucht“.