Süddeutsche Zeitung

Künstler in der Corona-Krise:Tanzen mit Abstand

Federico Ramon spielte als DJ und Saxofonist auf vielen Hochzeiten - bis die Pandemie kam

Von Jessica Schober, Gilching

Früher spielte er auf vielen Hochzeiten, doch dieses Jahr braucht kaum jemand einen Künstler wie ihn. Der Argentinier Federico Ramon ist im Fünfseenland als Saxofonist und DJ unterwegs, legt bei Familienfesten und Trauungen auf und bringt die Gäste mit Saxofon-Einlagen dazu, von den Stühlen aufzuspringen und zu tanzen. Doch seit Corona ist es still geworden um den 40-Jährigen, der mit seiner Familie in Gilching lebt. "Ich habe immer gehofft, die Coronakrise würde früher zu Ende gehen, sodass ich wenigstens auf ein paar Hochzeiten in diesem Sommer spielen kann." Doch nach seinem letzten Auftritt im Januar hangelt er sich nun mit den insgesamt 3000 Euro aus dem Programm der Bayerischen Künstlerhilfe durch, die er erhalten hat - das Geld ist bereits komplett für Rechnungen, Miete und Einkäufe draufgegangen.

Ein einziges Hochzeitspaar hat hartnäckig an seinem Trauungstermin im August festgehalten und die Buchung nicht storniert, "tapfere Leute", sagt Ramon. In der Zeit zwischen April und Oktober ist der Musiker normalerweise im Dauereinsatz, alle Wochenenden waren ausgebucht für 2020. Termine in Österreich und in der Schweiz standen an. Sein Plan war, in der Sommersaison so viel zu verdienen, dass er damit über den Winter kommen würde. Da macht ihm Corona einen Strich durch die Rechnung. Das Beste, was ihm nun passieren kann, ist, dass die Hochzeiten auf 2021 verschoben - und die Verträge nicht gleich ganz gecancelt werden. Mit vielen Brautpaaren hatte Ramon einen Anzahlungsvertrag abgeschlossen. Wenn die Auftraggeber nun ihre Hochzeitsfeier ganz absagten, musste er ihnen das angezahlte Geld zurücküberweisen. Ein finanzieller Genickbruch für den Vater einer anderthalbjährigen Tochter.

Ramons Frau arbeitet in einer ebenso krisenbetroffenen Branche: Sie ist bei einem Kreuzfahrtunternehmen angestellt und ist seit Monaten im Home-Office und in Kurzarbeit. Als sich die beiden 2014 kennenlernten, arbeite Ramon als Saxofonist auf dem gleichen Schiff wie seine spätere Frau, im vergangenen Herbst zog das Paar zusammen nach Gilching. Was sie einst zusammenbrachte, macht ihnen heute das Leben schwer: Eine Familie, die ihr Geld in der Kreuzfahrtbranche und mit Livemusik verdient, steht 2020 rasch am finanziellen Abgrund. "Wir haben da wirklich zwei krisenbetroffene Berufe in der Familie", seufzt Ramon. Trotzdem ist er froh, die Krise nicht in seinem Heimatland Argentinien zu erleben, "dort ist das Leben auch nicht leichter".

Während der Zwangspause hat er in seinem kleinen Heimstudio eigene Stücke aufgenommen. Mit einem befreundeten Pianisten aus Argentinien spielte er online Instrumentalmusik ein. "Die Krise zwingt uns Künstler auch zur Kollaboration", sagt er, "Und es ist toll, dass wir dank der Technologie auch dann weltweit zusammenarbeiten können, wenn die Landesgrenzen unüberwindbar scheinen."

Er gibt noch ein wenig privaten Gitarrenunterricht. Doch ihm ist klar: Seine Arbeit wird sich verändern. "Werden die Leute noch ausgelassen auf Hochzeiten tanzen und sich in den Armen liegen? Ich weiß es nicht", sagt Ramon. Auf einer einzigen kleinen Geburtstagsfeier spielte er im Juli, da lautete die Ansage des Gastgebers: "Leg doch bitte entspannte Chill-Out-Musik auf, bei der sich die Leute gar nicht erst so nahe kommen beim Tanzen".

Ramon sagt: "Für uns Live-Künstler ist das Wesentliche bei der Arbeit, dass wir in Kontakt sind mit den Menschen". Ein DJ, der die Leute auf Abstand hält - unvorstellbar für Ramon.

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Quelle:
SZ vom 16.09.2020
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