Krailling:Was bleibt, ist die Musik

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"Tucholskys Plattenschrank" haben Sebastian Hofmüller (links) und Walter Erpf in der Kraillinger Gemeindebibliothek angekurbelt. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Tucholsky als Platten-Liebhaber und -Rezensent

Von Blanche Mamer, Krailling

Sebastian Hofmüller und Walter Erpf sind extrem gut gelaunt. Sie haben gut lachen, denn die Lesung mit Musik "Aus Kurt Tucholskys Plattenschrank" ist ausverkauft. Tucholsky war stolzer Grammophonbesitzer und passionierter Schallplattenhörer, erzählt Walter Erpf. Und auch er, Erpf, hat so ein besonderes "Maschinchen". Das Tischgrammophon von 1928 muss zwar noch mit Muskelkraft angelassen werden - 13 gleichmäßige Kubeldrehungen sind notwendig - doch es ist klanglich schon sehr gut im Vergleich zu älteren Geräten, die noch vor der Weimarer Republik hergestellt wurden.

Über Jahrzehnte hat der Musiker und Sammler Erpf viele von Tucholskys Lieblingsplatten zusammengetragen, über die der Rezensent vor knapp hundert Jahren meist unter Pseudonym geschrieben hat: Sophie Tucker, Paul Graetz, Rudolf Nelson und "The Revellers". Nur wahre Liebhaber wie Erpf können eine Verbindung herstellen zwischen den Kritiken von "Peter Panter" und der Musik, über die er schreibt. Die Texte liest Sebastian Hofmüller. Etwa über eine Rarität des belgischen Jazz-Pioniers Clément Doucet: "Oh You My Sweet Evening Star" ist eine luftige, beschwingte Melodie, die zum Tanzen einlädt. Panter vergleicht sie mit Richard Wagner "Abendstern" und findet plötzlich alles gut, es bliebe nur Rhythmus und Melodie und nichts vom unerbittlichen Pathos des Sachsen.

Es dauert ein wenig, bis sich das meist ältere Publikum auf die Kombination Vorlesen/Schallplatte einstellt. Gern hätte man nach der Musik erneut den Text gelesen, um alle Anspielungen zu verstehen. Denn Tucholsky lässt wie bei seinen Literaturkritiken gesellschaftspolitische Ansichten einfließen. Nicht immer bleiben die Verweise präsent. Was bleibt, ist die Musik. Das weiß Erpf und lockert die Besprechung einer Platte von Jack Smith, dem "Flüsternder Bariton", mit Internet-Recherche auf: "Früher musste man viele Bücher lesen, heute reicht Wikipedia. Da findet man die Vita von Jack Smith auf Englisch, doch man kann sie übersetzen lassen", sagt Erpf und kann sich das Lachen kaum verbeißen. Denn da heißt es etwa "Seine Flüstern Gesangstil war ein Ergebnis eines Weltkrieges Verletzungen durch Giftgas, die ihn von Gesang bei voller Lautstärke gehalten". Die Platte "Cecilia" aber ist ein Genuss; allein die verschiedenen Arten, wie Smith den Namen der Angebeteten singt, spricht und flüstert, ist unübertroffen.

Ein wahrer Schatz ist auch eine Aufnahme von Claire Waldoff, die sich ihre freche Berliner Schnauze bei nächtlichen Kneipentouren angeeignet hatte. "Mutters Hände" mit Text von Tucholsky ist ein kleines trauriges, herzliches Lied, das lange nachklingt. Klar, dass an diesem unterhaltsamen Abend die Musik wichtiger war als die Texte.

© SZ vom 27.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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