Warum es in jedem Ort mindestens eine Zugspitzstraße gibt?Friederike Tschochner antwortet ohne Umschweife: „Eine Werbemasche.“ Die Bauherren hätten damit gegenüber den Käufern die hervorragende Wohnlage mit Blick auf Deutschlands höchsten Gipfel betonen wollen. In Krailling gibt es keine solche Straße, in der Würmtal-Gemeinde sind auffallend viele Straßen nach Personen benannt. „Anhand der Straßennamen lässt sich die ganze Ortsgeschichte erzählen“, sagt die Gemeindearchivarin, die beim jüngsten Kulturmittag der Gemeinde im „Alten Wirt“ Einblicke in die Historie gab.
Bis ins Jahr 1901 zurück hat Tschochner nachgeforscht, „da fängt’s an mit den Benennungen“. Zuvor seien die Häuser einfach nur nummeriert gewesen. Als Namensträger boten sich Könige und Prinzregenten (Ludwig und Luitpold) an, außerdem die Hofmarksherren Ligsalz, Muggenthal, Kräler, Berchem und Fleckhamer, welche im Wohngebiet am Osthang gewürdigt werden. Potenzielle Namensgeber waren natürlich auch Bürgermeister.
Georg Schuster zum Beispiel, der von 1895 bis 1919 an der Spitze der Gemeinde stand und erster Ehrenbürger Kraillings war. „Er hatte elf Kinder, sieben davon starben jung“, so Tschochner. Drei Jahre nach seinem Tod im Jahr 1928 wurde er mit einer Straße geehrt. Auch Josef Bader, Bürgermeister von 1931 bis 1933 und von 1946 bis 1948, kam diese Ehre zuteil, wenngleich der Baderweg recht klein ist – dafür gibt es den sogenannten Baderbrunnen am Weg.
Im Dritten Reich gab es freilich auch in Krailling eine Hitlerstraße. Die Elisenstraße wurde entsprechend umbenannt, aus der Bergstraße wurde zudem die Franz v. Epp-Straße. 1945 erhielten die Straßen ihre ursprünglichen Namen zurück, aus der Hindenburg-Höhe wurde der Höhenweg. Im Archiv der Gemeinde Gräfelfing gäbe es einen entsprechenden Bescheid aus dem Jahr 1945, wonach die Umbenennungen möglichst rasch erfolgen sollten. „Bis Sonntag“, heiße es in dem Papier, zitiert Tschochner. „Damit der Sonntag nicht noch einmal durch eine Hitlerstraße entheiligt wird“.
Auch der Kraillinger Bürgermeister (1948 bis 1972) und spätere Ehrenbürger Johann Baptist Huber erhielt eine Straße, wenn auch erst 1993. „Er war eine Institution“, so Tschochner. Die Clarastraße, – einst nach der Ehefrau des Kommerzienrates Hermann Aust benannt, welcher ein Landgut in Krailling besaß – wird dafür umbenannt. Im selben Jahr wird der Sommerweg zum Alfons-Goppel-Weg. Bürgermeister Ernst Nagel bekommt keine Straße, dafür der „lustige Künstler“ Ludwig von Nagel, wie Tschochner weiter ausführt. Und Bürgermeister Helmuth Schreyer (1972–1990) einen Brunnen.
Bedeutungsvoll in Krailling und deshalb mit einer Straße westlich der Bahn geehrt, sei zudem Baron Rudolf von Hirsch in der Gemeinde gewesen. Der großzügige Gutsherr habe sich seine Straße aber nicht erkauft. „Die Benennung erfolgte bereits vor der Schenkung des Schulgrundstückes“, betont Tschochner. Als „Wohltäter der Gemeinde“ haben sich außerdem Paula Anders, Alois Schlachter und Anton Kleber einen Namen in Krailling gemacht.
Viel Zeit hat die Gemeindearchivarin in die Nachforschungen zur Elisenstraße gesteckt. Wie sie herausfand, hat die Straße nichts mit der Kaiserin Elisabeth zu tun. Vielmehr wollte der frühere Baumeister Konrad Dumser seiner Tochter Elisabeth – und offenbar nicht seiner Ehefrau Babette, wie fälschlicherweise auf einem Zusatzschild bemerkt – ein Denkmal setzen.
Der Name passte jedenfalls, denn es gab recht viele „Lieserl“ in der Straße, was 1901 sogar in einem Gemeinderatsprotokoll hinterlegt ist. So führte die Straße von der Villa Elisabeth, die zuerst Elise Weise und später Elise Rosenbauer gehörte, zum heutigen Restaurant „Knossos“, einst das Zuhause von Johann und Elise Wenning.
Aus der Reihe fällt die Karl-Leisner-Straße, benannt nach dem selig gesprochenen Märtyrer der katholischen Kirche. Gerade zum Diakon geweiht, wird er 1939 ins Konzentrationslager Sachsenhausen und weiter nach Dachau deportiert. Dort wird er heimlich zum Priester geweiht. Nach der Befreiung 1945 ist er so krank, dass er ins Sanatorium bei Krailling eingeliefert wird, wo er wenige Monate später stirbt. Ein Denkmal auf dem Friedhof erinnert an ihn.
Tschochner bewertete die Benennungen kaum, lediglich mit der nach dem italienischen Komponisten benannten Wolf-Ferrari-Straße haderte sie ein wenig. Er habe schließlich nur elf Jahre in Krailling (in der heutigen Forst-Kasten-Straße) gelebt, bevor er wieder weggezogen sei.
Warum die Straße nicht nach dem beliebten und in Krailling durchaus auch engagierten Schauspieler Gustl Bayrhammer umbenennen, der just in der Wolf-Ferrari-Straße wohnte? Die Zuhörer im „Alten Wirt“ wären sofort dafür gewesen. Doch „es ist noch zu früh“, wiegelt Kraillings Zweite Bürgermeisterin Ricarda Weimar ab. „Ich denke, das ist die nächste Umbenennung, die auf den Gemeinderat zukommt“, sagt Tschochner.