Süddeutsche Zeitung

Krailling:Sirenen über ächzenden Planken

Lesezeit: 2 min

Der Musiker Udo Schindler ertastet die Grenzen des Hörbaren

Von Gerhard Summer, Krailling

Was seine CD-Produktion betrifft, gehört der Musiker und Architekt Udo Schindler zu den Unermüdlichen im Land. Allein in den vergangenen zwei Jahren hat er mehr als ein Dutzend Alben herausgebracht, vorwiegend Live-Mitschnitte aus seinem Kraillinger "Salon für Klang + Kunst", einer der letzten Bastionen der freien Improvisation im Dunstkreis von München. Schindler scheut dabei keinen Aufwand. Er setzt teures Equipment ein und arbeitet seit langem mit dem Tonmeister Wolfgang Obrecht zusammen, weil der am ehesten seine Vorstellung vom detaillierten und räumlichen Klangbild realisiert. Einige CDs kommen noch dazu in silbrigen Schatullen daher, Schindlers neues Solo-Album "Pneuma_Extreme"sieht sogar aus wie eine Mini-LP mit Rillen.

Was der Mann auf Klarinetten, Saxophonen, Flöten und Blechblasinstrumenten zusammen mit Sängerinnen, Pianistinnen, Gitarristen, Elektroniktüftlern oder Geigern in seinem Wohnhaus treibt, hat mit konventioneller Musik oder dem Stegreifspiel über Akkordfolgen, wie sie im Jazz oder Blues gängig sind, rein gar nichts zu tun. Verglichen mit diesen Aufnahmen aus dem Grenzbereich des Hörbaren nimmt sich sogar eines der extremsten Alben der Rockgeschichte, "Trout Mask Replica" von Captain Beefheart & His Magic Band, wie liebliches Gesäusel aus. In den Kraillinger Konzerten treten nämlich Rhythmus und Melodie in den Hintergrund, um das Geräusch nach vorne zu bringen: das Krächzen, Quäken, Gackern und Schmatzen, Pfeifen und Gellen, Surren, Quietschen und Klappern. Schindler und die Seinen sind mit größtem Vergnügen dabei, ihren Instrumenten oder Stimmbändern Töne zu entlocken, die aus einem Klanglaboratorium stammen könnten und die man weder Klavier noch Klarinette oder einem Sänger zutrauen würde.

Wozu seine modifizierte, bis zum tiefen C reichende Kontrabassklarinette fähig ist, dekliniert Schindler auf "Pneuma_Extreme" in 14 kurzen Stücken durch. Er beginnt mit einem fast schon klassischen Motiv, was dann folgt, lässt sich am ehesten mit Assoziationen beschreiben: eine Art Gamelanmusik, Möwengelächter und Krächzen, eine Bohrmaschine, die sich in eine zähe Wand quält, Percussion mit Blasrohrwind, eine Mischung aus Schnarchen, Blubbern und startendem Rasenmäher oder auch so etwas wie ein Marsch mit Marimbaphon oder dunkel klingenden Timbales. Noch extremer fällt "Blue Sonic Vibrations" mit der Schweizer Vokalperformerin Franziska Baumann aus. Neben einer Klangcollage mit heiterem Anruf ("Für Ja die Taste 1, für Nein die Taste 2") finden sich auf der CD Sirenengesänge über ächzenden Planken, eine schnaufende Dampflok-Fahrt, die in einem Albtraum endet, viel mit Rezitativen versetztes Heulen und Jodeln, dazu noch ein Drama, das von Tausenden Lemmingen handeln könnte, die sich ins schwappende Meer stürzen.

Zuweilen nehmen sich die Salonspielereien auch wie Krimi-Musik und kleine Hörspiele aus, die sich eben nicht um Sprache, sondern um Töne drehen. "Botenstoffe", eine Hommage an den Dichter Thomas Kling (1957 bis 2005), ist ein Beispiel dafür. Zusammen mit fünf Pianistinnen hat Schindler auf diesem Album Werke verewigt, die schon mal Elemente der Minimal Music aufnehmen und zeitgenössisch atonale und expressionistische Klänge mit außerirdischem Krächzen und Geklimper kombinieren.

Ist das jetzt Kunst? Und: Kann sich ein Klassik- und Rockfan, ein Banause sozusagen, so etwas antun, ohne gleich in Schockstarre zu verfallen? Womöglich schon. Aber das Ganze ist eine anstrengende und nervige Annäherung. Alles andere wäre wohl zu einfach.

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SZ vom 21.01.2019
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