Fahrbahn-Check:Das Schlagloch-Suchgerät

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Ein Smartphone an der Windschutzscheibe fotografiert die Straßen ab. Der Seefelder Bürgermeister Klaus Kögel (links) und sein Bauhofchef Manfred Scheicher sind zufrieden mit der Vialytics-Technik, die Petra Fürbeck verkauft. (Foto: Nila Thiel)

Ein Computerprogramm aus Stuttgart erleichtert es Gemeinden, den Zustand ihrer Straßen zu erfassen und zu bewerten. In Krailling und Seefeld sind die Smartphones in den Unimogs der Bauhöfe schon im Einsatz. Für die Bürgermeister geht es dabei auch um Gerechtigkeit.

Von Michael Berzl, Seefeld

Die Seefelder Straßen sind besser als gedacht. Das zeigt ein objektiver Blick auf die Fahrbahnen in der Gemeinde mit Hilfe eines speziellen Computerprogramms aus Stuttgart. Das fertigt bei Fahrten mit den Bauhof-Fahrzeugen alle vier Meter Aufnahmen an und vergibt Noten je nach Zustand - ob es Risse gibt oder Schlaglöcher oder der Asphalt noch tiptop in Ordnung ist. Und diese Bewertung fällt deutlich positiver aus, als der Bauhofleiter Manfred Scheicher erwartet hätte. Das hat Folgen, denn in der Gemeinde Seefeld ist künftig die Einschätzung der künstlichen Intelligenz ausschlaggebend, wo gleich repariert wird und wo eventuell erst später. Und gar nicht so selten fällt die Entscheidung nach Datenlage etwas anders aus als nach dem subjektiven Eindruck von Anwohnern.

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Genau das ist ein wichtiges Thema für den Kraillinger Bürgermeister Rudolph Haux (FDP), dem ein Amtskollege aus Franken bei einem Lehrgang in der Bayerischen Verwaltungsschule das Produkt empfohlen hat. Die Gemeinde ist Vorreiter im Landkreis Starnberg und nutzt seit drei Jahren die Dienste der Firma Vialytics bei der Betreuung eines Straßennetzes mit einer Gesamtlänge von etwa 55 Kilometern. Offenbar hat sich die Technik dort bewährt. Bürgermeister Rudolph Haux schwärmt jedenfalls davon. "Das ist eine ganz tolle Sache", sagt er am Telefon im TGV nach Südfrankreich. Besonders schätzt er, dass die Gemeindeverwaltung nun objektive Maßstäbe zur Verfügung hat, um zu entscheiden, welche Straße als nächstes repariert werden soll und welche noch etwas warten kann.

Etwa 50 Gemeinden in Bayern nutzen die Technik

Im Ort kann so etwas zu einem echten Streitthema werden, musste er feststellen: "Da gab es manchmal schlechte Stimmung". Das wollte er abstellen. "Jetzt ist objektiv nachvollziehbar, welche Straße drankommt. Das ist ein ganz tolles Arbeitsinstrument". Objektive Entscheidungsgrundlagen sind auch dem Seefelder Bürgermeister Klaus Kögel wichtig. "Was die Kunden lieben, ist die Objektivität; da kannst du nicht diskutieren", weiß Petra Fürbeck, die bei Vialytics für den Verkauf in Bayern zuständig ist.

Etwa 50 Gemeinden im Freistaat nutzen nach ihren Angaben die Technik; Puchheim und Germering im Landkreis Fürstenfeldbruck seien erst im vergangenen Monat dazu gekommen. Tendenz steigend. Insgesamt seien es etwa 300 Kommunen in sechs Ländern, darunter Frankreich, Österreich, die Schweiz und Slowenien. Die Stadt Prag mit 3500 Kilometern sei ebenso ein Abnehmer wie ein kleiner Ort mit neun Kilometern Straßennetz. Die Kosten variieren etwas je nach den Gegebenheiten, als "grobe Richtschnur" gibt Fürbeck etwa 110 Euro netto pro Netzkilometer pro Jahr an. Für Seefeld ergäbe sich rein rechnerisch ein Bruttopreis von 10000 Euro pro Jahr, doch durch einen alten Preis und Sonderkonditionen kommt die Gemeinde günstiger weg.

Am Bildschirm ist das ganze Straßennetz dargestellt. Die grünen Abschnitte sind in Ordnung, rote Farbe signalisiert schadhafte Stellen. (Foto: Nila Thiel)

Und so funktioniert es, zum Beispiel in Seefeld: Im Oktober haben Bauhofleiter Scheicher und seine Kollegen damit begonnen, systematisch alle Straßen abzufahren. Mit dabei ist ein Smartphone, das an der Windschutzscheibe befestigt ist und alle vier Meter eine Aufnahme macht. Gesichter oder Autokennzeichen werden automatisch unkenntlich gemacht. Ein Programm erkennt und bewertet nach 15 vorgegebenen Kriterien den Straßenzustand und vergibt Noten von eins bis fünf. Eine besonders schlechte Zensur hat zum Beispiel die Bahnhofstraße in Hechendorf erhalten, die stellenweise wirklich nicht mehr gut aussieht.

Seit fünf Jahren ist die Stuttgarter Firma am Markt

Allerdings, so macht Sales-Managerin Fürbeck deutlich, könne der äußere Eindruck täuschen, was die Dringlichkeit betrifft. Da könne ein Stück Fahrbahn, das aussieht wie ein Flickenteppich, ruhig noch etwas warten, während ein Belag, der auf den ersten Blick noch ganz in Ordnung aussieht, aber durchzogen ist von Rissen, möglichst schnell saniert werden sollte, damit er nicht in der nächsten Frostperiode zerbröselt.

Das Stuttgarten Unternehmen Vialytics gibt es erst seit fünf Jahren. Gegründet wurde es von Danilo Jovicic-Albrecht. Mittlerweile sind nach Angaben des Unternehmens mehr als 70 Mitarbeiter beschäftigt. Zu den Anteilseignern gehören der baden-württembergische Energiekonzern EnBW, der staatliche norwegische Energiekonzern Statkraft und der zum VW-Konzern gehörende Lastwagenhersteller Scania. Das Unternehmen expandiert und hat große Pläne. In den USA wurde ein Büro eröffnet, bis zum Jahr 2030 sollen 400 000 Straßenkilometer verwaltet werden.

Der Kraillinger Bauhof arbeitet schon seit ein paar Jahren mit Smartphone und Software bei der Erfassung der Straßen. Abdulwahid Saidi (links) erklärt Anton Ruppaner, wie das funktioniert. (Foto: Arlet Ulfers)

Es gibt auch andere Produkte dieser Art. Die Stadt Starnberg sowie die Gemeinden Gauting und Andechs beispielsweise haben Messfahrzeuge der Berliner Firma "Eagle Eye" losgeschickt, um den Zustand ihrer Straßen zu erkunden. Andernorts müssen noch Stift und Zettel sowie einzelne Handy-Fotos als Grundlage für die Reparatur-Planung dienen.

In Seefeld jedoch werden Bauhof-Mitarbeiter demnächst wieder mit dem Smartphone aus Stuttgart an der Windschutzscheibe ihre Runden drehen. Das ergibt dann einen Vergleich zum Zustand im vergangenen Herbst. "Dann können wir sehen, was sich über den Winter verändert hat", erklärt Bauamtsleiter Ralf-Peter Beutel. Der Kraillinger Bürgermeister Haux ist sich schon sicher, dass er nach drei Jahren Erfahrung den Vertrag mit der Stuttgarter Firma verlängern wird. Bei den Bürgerversammlungen im Juli will er auch den Zustand der Straßen wieder erläutern und kann dabei auf objektive Daten zugreifen.

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