Krailling nach dem Urteil:Ein Ort, der in den Abgrund stürzte

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Krailling ist seit dem Mord an Chiara und Sharon ein anderer Ort geworden. Erst wurden Unschuldige verdächtigt, dann versuchten viele, die schreckliche Tat zu verdrängen. Nach dem Schuldspruch für Thomas S. herrscht nun Erleichterung. Doch noch immer hat sich die Gemeinde von dem Verbrechen nicht erholt.

Christian Deussing und Thomas Anlauf, Krailling

Für Kraillings Bürgermeisterin Christine Borst hat der Tag, an dem das Gericht über Thomas S. geurteilt hat, zumindest ein bisschen Erleichterung gebracht. "Ich habe mit diesem Urteil gerechnet und bin froh über das Strafmaß", sagt Borst. "Es ist gut, dass dies vorbei ist und wieder Friede und Ruhe im Ort einkehren können."

Mehr als ein Jahr ist seit dem Mord an Chiara und Sharon verstrichen, doch die Tat bleibt unfassbar. Vor dem Haus an der Margaretenstraße, das wochenlang von der Polizei versiegelt war, legten Freunde Blumen nieder und zündeten Kerzen an. (Foto: dpa)

Die Kraillinger sind immer noch erschrocken über das grauenhafte Verbrechen. Der Ort hat sich davon noch nicht erholt. Ralf S., ein Handwerker, der als Zeuge im Prozess ausgesagt hat, findet, dass Thomas S. "diese Strafe mindestens verdient hat". So ähnlich denken viele Menschen an diesem Montag. "Ich hoffe, dass er für immer weggesperrt bleibt", sagt Björn Viviers, ein 25-jähriger Koch der Kraillinger Brauerei. Sein Kollege Selantin Konxheli stimmt ihm zu. Bedauerlich sei nur, dass Thomas S. nicht gestanden habe, finden die Männer. Sie denken dabei vor allem an Anette S., die Mutter der zwei ermordeten Mädchen.

Sie wird an den Ort des Geschehens wohl nie mehr zurückkehren. Das kleine Haus an der Margaretenstraße, es scheint verflucht zu sein. Kein Kraillinger, der das Sträßlein nahe der Würm entlangspaziert, kann sich dem Grauen beim Anblick des gelben Hauses entziehen. Auch wenn seit langem die Teddybären, Kerzen, Briefe und Blumen fortgeräumt sind. Krailling ist seit dem Mord an Chiara und Sharon ein anderer Ort geworden.

"Nichts wird so sein wie früher", hatte Bürgermeisterin Borst im Trauergottesdienst für die getöteten Schwestern am 29. März 2011 gesagt. Es war eine knappe Woche nach dem Doppelmord. Zu diesem Zeitpunkt befand sich Thomas S. noch auf freiem Fuß. Das Dorf spekulierte über den Mörder, Unschuldige wurden plötzlich verdächtigt, die Atmosphäre war vergiftet.

In der nahen Musikkneipe, wo die Mutter der Opfer auch in der Mordnacht gewesen war, wurde darüber spekuliert, ob womöglich einer der anderen Gäste, die in jener Nacht anwesend waren, mit dem Verbrechen zu tun haben könnte. Eltern reagierten ängstlich, fuhren ihre Kinder mit dem Auto in die Grundschule, einige wechselten die Türschlösser zu den Wohnungen aus.

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Mit Messer, Hantel und Seil werden zwei Mädchen in Krailling brutal ermordet. Bald darauf wird der Onkel verhaftet - er soll aus Habgier die verstörende Tat begangen haben. Nun hat das Landgericht München die Höchststrafe gegen Thomas S. verhängt.

Anna Fischhaber

Als sich die Verhaftung des Onkels von Chiara und Sharon herumsprach, zeigten sich die Kraillinger erleichtert: Der Mörder kam nicht aus dem Ort. Gleichzeitig wuchs die Wut auf den Postboten aus Peißenberg, der das Unheil über die Würmtalgemeinde gebracht hatte. In der Gaststätte Schabernack flackerten Kerzen um eine bauchige Flasche, in der Geld für die Mutter gesammelt wurde. Sonst konnte man ja nicht viel tun. Geld geben gegen die Ohnmacht. Und doch: Es war eine stumme Solidarität, die sich in dem Musiklokal breitmachte.

Es dauerte Monate, bis allmählich weniger über die Mordgeschichte geredet wurde. Viele versuchten zu verdrängen. Es sollte endlich wieder Ruhe in dem Ort einkehren, jetzt, nachdem der mutmaßliche Mörder gefasst war. Dann rückte der Prozess näher. Wieder schlich das Unbehagen vor allem in die Musikkneipe zurück, wo Anette S. lange Jahre mitgearbeitet hatte. "Da müssen wir durch", sagten die Stammgäste vor dem Prozessauftakt gegen Thomas S. am 17. Januar.

Einige der Schabernack-Besucher mussten als Zeugen vor Gericht aussagen, es war auch für sie ein schwerer Gang. Und die Bürger im Ort quälte weiterhin die Frage, warum der mutmaßliche Doppelmörder nicht seine Tat zugab. Schließlich hatte sich auch im Indizienprozess gezeigt, wie erdrückend die Spuren gegen den Onkel der getöteten Mädchen sind.

An deren erstem Todestag, am 24. März 2012, standen wieder rote Kerzen vor dem Wohnhaus gegenüber der kleinen Margaretenkirche. Auch wenn Thomas S. am Montag zur Höchststrafe verurteilt wurde: In Krailling wird nichts mehr so sein wie früher.

© SZ vom 17.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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