Dietlind Freyer-Zacherl hat die Aktenordner auf den Tisch gelegt, sie blättert durch Pläne und Protokolle, Stellungnahmen, Anträge und Beschlüsse. „Ich habe nichts gegen die KIM“, betont sie. Das Gewerbegebiet habe sich prächtig entwickelt, keine Frage. Und doch ist Freyer-Zacherl nicht ganz im Reinen mit der Kraillinger Innovationsmeile, die im September mit einer Festwoche ihr 25-jähriges Bestehen feiern will. „Da gibt es noch ein offenes Versprechen“, sagt Freyer-Zacherl und das trübe ihre Feierlaune. So seien wertvolle Biotope auf dem Gelände noch immer nicht ausreichend geschützt – obwohl der örtliche Gemeinderat vor 28 Jahren beschloss, diese als Naturschutzgebiete festzusetzen, wie sie sagt.
Die ehemalige Gemeinderätin von der Freien Bürgergemeinschaft Krailling (FBK) will, dass auch dieser Teil der KIM-Geschichte erzählt wird. So sei die Idee eines Gewerbegebietes im Grünen damals bei Naturschützern nicht gut angekommen, wie sie berichtet. Das Pioniergelände sei besonders wertvoll gewesen, auf der etwa 50 Hektar großen Fläche, die von 1935 bis 1994 militärisch genutzt wurde, hatte sich die Natur in ihrer ganzen Bandbreite und Vielfalt ausgebreitet. Die Familie Freyer-Zacherl war dort Anfang der 1990er-Jahre regelmäßig unterwegs: Dietlind Freyer-Zacherl versorgte ehrenamtlich Wechselkröten auf dem Gelände mit Wasser und auch ihrem inzwischen verstorbenen Ehemann Xaver Zacherl war als Vorsitzenden der Kreisgruppe des Landesbunds für Vogelschutz (LBV) das artenreiche Gebiet vertraut. Freyer-Zacherls Sohn wiederum leistete dort für den LBV seinen Zivildienst. „Wir kannten diese Flächen im Vergleich zu vielen anderen einfach sehr gut“, sagt sie. Sie wussten, wo Färberginster, Fransen- und Kreuzenzian oder auch das Sandveilchen wuchsen. Sie kannten Schlingnatter, Blauflüglige Ödlandschrecke und Wald-Wiesenvögelchen – alle diese Pflanzen und Tiere sollten später kartiert werden.
Knapp 22 Hektar groß war das Gelände, das die Gemeinde damals erwarb. Mit dem Versprechen, das Gewerbegebiet mit einem Naturschutzgebiet auszugleichen, habe man die Naturschützer still gestellt, sagt Dietlind Freyer-Zacherl rückblickend. „Weil das Kasernengelände bereits versiegelt war, musste die Gemeinde ja nicht einmal Ausgleichsflächen ausweisen.“ Naturschutzverbände und Unterstützer hatten damals bereits ein Bürgerbegehren eingereicht, um die Pläne zu stoppen. Dass dieses keine Mehrheit erreichte, lag laut der ehemaligen FBK-Gemeinderätin auch an der in Aussicht gestellten Schutzmaßnahme – „ein Schachzug zur rechten Zeit“, wie sie sagt.
Jahrelang passierte dann aber nichts in Sachen Naturschutz. Dieter Hager, damals Bürgermeister in Krailling und Initiator des Gewerbegebietes, erinnert sich an Gespräche mit der Unteren Naturschutzbehörde. Dort habe man den Wunsch der Gemeinde allerdings als nicht zielführend empfunden, erzählt er. „Der Aufwand wurde als zu groß und die bereits vorhandenen Pflegemaßnahmen als ausreichend erachtet.“ Er habe das entsprechend im Gemeinderat kommuniziert, das Gremium habe das so akzeptiert. „Sonst wäre sicher keine Ruhe eingekehrt“, sagt er.
Erst 2007 kam die Sache wieder auf den Tisch. SPD und Grüne beantragten, die Biotope als geschützten Landschaftsbestandteil unter Schutz zu stellen, wie Freyer-Zacherl in ihren Unterlagen recherchiert hat. „Eine Festsetzung als Naturschutzgebiet hätte formalrechtlich einfach sehr lange gedauert“, so Freyer-Zacherl. Als geschützter Landschaftsbestandteil hätte das Gebiet einen ähnlich hohen Schutzstatus. Der Antrag wurde abgelehnt. 2017 schließlich, da ist Freyer-Zacherl selbst Gemeinderatsmitglied, beantragen FBK, SPD und Grüne erneut diesen Schutzstatus. Ein Beschluss wird auf unbestimmte Zeit vertagt, stattdessen wird ein Arbeitskreis eingerichtet, der ergebnislos bleibt. 2021 dann ein erneuter Vorstoß und das Gremium ist einstimmig dafür. 2022 wird der Beschluss mit der dringlichen Forderung zur Umsetzung erneuert, 2023 noch einmal – diesmal begrenzt auf die gemeindeeigenen Gebiete, um die Umsetzung zu erleichtern.
Doch noch immer ist das Pioniergelände „nur“ Landschaftsschutzgebiet und als solches nicht ausreichend gesetzlich geschützt, wie Freyer-Zacherl beklagt. Denn aus einem Landschaftsschutzgebiet können Flächen herausgenommen werden, wenn es berechtigte Interessen gibt. Immer wieder entstünden schließlich Begehrlichkeiten, zweimal schon wurde die KIM erweitert. Aktuell wird erneut eine Ausweitung diskutiert. Freyer-Zacherl versteht nicht, warum die Beschlüsse nicht umgesetzt werden. Sie wird weiter darum kämpfen.