Krailling:Kampf um die Liebe

Tamana und Shoaibullah Formily flüchten nach Deutschland, weil die Frau einer arrangierten Ehe mit einem Taliban entgehen will. Sie gründen eine Familie, der junge Vater findet Arbeit - jetzt droht ihm die Abschiebung.

Von Carolin Fries, Krailling

Vor zehn Tagen hat Yusra zum ersten Mal in ihrem Leben gelacht. Betrachtet man das drei Monate alte Mädchen in den Armen ihrer Mutter, möchte man meinen, es gäbe nichts, was zwei Menschen glücklicher machen könnte. Doch wenn Tamana, 22, und Shoaibullah Formily, 26, in das Gesicht ihrer kleinen Tochter blicken, ist da nicht nur Freude, sondern auch Angst und Sorge, womöglich bald nicht mehr gemeinsam in Deutschland leben zu können. Im Oktober hat Shoaibullah Formily einen negativen Bescheid auf seinen Asylantrag bekommen. Der 26-Jährige muss nun fürchten, Deutschland ohne seine Frau und sein Kind verlassen zu müssen, obwohl er hier seit fünf Monaten einen festen Arbeitsplatz hat und seine Familie ernährt.

"Hier in Deutschland kann man einfach leben", sagt der junge Mann. In Afghanistan müsse er den Tod fürchten, weil er eine Frau liebt, die einem anderen Mann versprochen war, obendrein einem Truppenmitglied der Taliban. "Sie würden uns überall finden", sagt Shoaibullah Formiliy. Seine Frau würde gesteinigt, er selbst erschlagen, erzählt er. Dass es in ihrer Heimat keinen Platz für ihre Lieben geben würde, war dem jungen Paar spätestens in dem Moment klar, als Tamana von der arrangierten Hochzeit erfuhr. Ihre Familie lebt in der Provinz, Mädchen gehen dort nicht zur Schule.

Krailling,  Julian Mantoan

Tamana und Shoaibullah Formily mit ihrer Tochter Yusra, für die sie sich vor allem einen freien Zugang zum Bildungssystem wünschen.

(Foto: Georgine Treybal)

Shoaibullah lernte sie in einem Krankenhaus in Kabul kennen, beide besuchten kranke Familienmitglieder. Sie tauschten die Telefonnummern, acht Monate später fiel der Entschluss zur Flucht. Am 20. Oktober 2015 geben sie sich noch in Afghanistan bei einem Mullah das Jawort, drei Wochen später verlassen sie das Land. Sie fliehen über Griechenland und Mazedonien, "mit einer Plastiktüte über das Meer", wie der junge Afghane erzählt. 17 Tage dauert es, bis sie in Düsseldorf ankommen. Es folgen kurze Stationen in München, Dornach und vier Monate in Tutzing, im Frühjahr beziehen Tamana und Shoaibullah den Wohncontainer Nummer 23 in Krailling. Insgesamt 129 Menschen hat der Landkreis Starnberg dort im Containerdorf untergebracht. Die Formilys teilen sich die wenigen Quadratmeter mit einer zweiten Familie, jede Familie hat ein Zimmer. Badezimmer, Kochzeile und Esstisch werden gemeinsam genutzt. Der Blick aus dem Container fällt über nasse Wiesen, am Himmel stehen graue Wolken. Tamana hat Tee gekocht, ihr Mann drapiert Kekse auf einem Teller.

Shoaibullah spricht gut deutsch, er versteht nahezu alles. Im September begann er als Teilzeitkraft in einem örtlichen Supermarkt, seit zwei Monaten arbeitet er dort in Vollzeit. Seitdem bezieht er kein Geld mehr nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Er räumt Regale ein und sortiert Leergut-Kisten, kassiert und berät. Bereits in Kabul war er in der Lebensmittelbranche als Verkäufer tätig, in Deutschland würde er gerne eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann beginnen, wenn er sprachlich noch besser geworden ist. Er würde gerne seinen Führerschein machen und mit seiner Familie eine kleine Wohnung beziehen. Doch alle Zukunftspläne sind derzeit blockiert durch einen Brief, der längst bei einem Rechtsanwalt liegt, der Klage eingereicht hat. Der Helferkreis Tutzing sowie die Kraillinger Ehrenamtlichen um Sonia Welski-Preisser unterstützen die Familie Formily, die als solche vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) nicht anerkannt wird, weil die Ehe nicht schriftlich dokumentiert ist. Somit gilt Shoaibullah Formily als alleinstehender Mann aus einem Land mit "geringer Bleibewahrscheinlichkeit".

Verleihung der Kraillinger Bürgermedaillen

Sonia Welski-Preisser koordiniert den Helferkreis.

(Foto: Georgine Treybal)

Ein Schicksal, dass er mit dem Großteil der Menschen teilt, die seit dem Frühjahr im Kraillinger Containerdorf leben. Die meisten Bewohner sind aus Afghanistan, seit knapp zehn Wochen kommen wöchentlich negative Bescheide, mal sind es zehn in einer Woche, mal nur einer. Bis zum November waren es insgesamt lediglich sechs. Sonia Welksi-Preisser plant bereist Schulungen für ihre Ehrenamtlichen, was den Umgang mit Ablehnungen betrifft, so massiv schlägt das System zu. Das liegt wohl auch an der neuen Afghanistan-Linie der Bundesregierung (Kasten).

Manche Bewohner haben Glück und erhalten ein Abschiebeverbot, was einer Aufenthaltserlaubnis von mindestens einem Jahr entspricht. Momentan haben von den 129 Bewohnern in Krailling 18 einen ablehnenden Bescheid bekommen, in 18 Fällen wurde ein Abschiebeverbot ausgesprochen, 20 Asylanträge wurden angenommen. 67 Asylgesuche sind noch offen, darunter das von Tanama Formily. Die Frau träumt von einer Arbeit im medizinischen Bereich, doch der Traum von einer Ausbildung ist in weite Ferne gerückt. "Die Linie des bayerischen Innenministeriums hat massive Auswirkungen auf die Ausbildungssituation", sagt Monika Steinhauser vom Münchner Flüchtlingsrat. Welcher Arbeitgeber will schon in einen Auszubildenden investieren, ohne zu wissen, ob dieser seine Ausbildung überhaupt beenden kann?

Krailling,  Julian Mantoan

Julian Mantoan ist Asylsozialberater im Containerdorf.

(Foto: Georgine Treybal)

Dass Shoaibullah Formily arbeiten kann, ist vor allem Glück. Die Behörden im Freistaat können bei der Erteilung von Arbeitserlaubnissen für Asylbewerber aus Ländern mit geringer Bleibeperspektive von ihrem Ermessensspielraum Gebrauch machen. Starnbergs Landrat Karl Roth (CSU) hat stets betont, den vielen Afghanen im Landkreis eine Chance auf dem Arbeitsmarkt geben zu wollen. Eine Anerkennungsquote von bundesweit 55 Prozent hält er im Übrigen nicht für gering. Der Landrat hat damit eine Lanze für die Asylbewerber im Landkreis gebrochen, die zum Großteil aus dem Land am Hindukusch geflüchtet sind.

Von den 1823 Asylbewerbern im Landkreis kommen 751 aus Afghanistan, die zweitgrößte Gruppe aus Somalia (148). "Selbst wenn jemand wieder gehen muss, so soll er etwas mitnehmen können", fasst der Sprecher der Kreisbehörde die gültige Linie zusammen. Seit 2016 gab es im Landkreis fünf Abschiebungen und drei Ausreisen nach dem Dublin-Verfahren. Aktuell sind 34 Personen ausreisepflichtig, darunter ein Afghane. Der Kraillinger Helferkreis befürchtet, dass es bald mehr werden, die meisten afghanischen Asylbewerber befinden sich noch im Verfahren.

Wirrwarr um Vollzugshinweise

Bis Ende 2016 galten Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber aus Afghanistan als schwierig, weil sich die afghanische Regierung dagegen wehrte. Seit Oktober 2016 gibt es laut Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) verlässliche Regelungen für die Rückführung, im Dezember wurden die ersten ausgewiesenen Afghanen nach Kabul geflogen. Obwohl Kritiker von einer sich ständig verschlechternden Situation im Land sprechen, verweist die Bundesregierung auf sichere Zonen in Afghanistan.

In Bayern haben vor diesem Hintergrund zuletzt Vollzugshinweise des Innenministeriums für Verwirrung gesorgt, wonach sich Ausländerbehörden aufgefordert sahen, Afghanen sowie generell Asylbewerbern aus Ländern mit geringer Bleibewahrscheinlichkeit keine Arbeitserlaubnis zu erteilen. Eine Linie, die sowohl von Flüchtlingshelfern als auch von Wirtschaftsverbänden kritisiert wurde. Am 27. Januar vermeldete die Industrie- und Handelskammer (IHK), das Ministerium habe "eingelenkt", die Behörde wiederum will nicht zurückgerudert haben. Vielmehr würde in die Schreiben des Ministeriums anderes hineininterpretiert, als drinstehe. Grundsätzlich dürfe Afghanen im laufenden Asylverfahren eine Beschäftigungserlaubnis nicht untersagt werden, hieß es zuletzt.

Grundsätzlich haben die Ausländerbehörden einen Ermessensspielraum. So fährt etwa der Nachbarlandkreis Fürstenfeldbruck einen stringenten Kurs und erteilt bei geringer Bleibewahrscheinlichkeit keine Arbeitserlaubnis. In Starnberg, nur wenige Kilometer weiter, ist die Behörde bemüht, Arbeitsuchende zu unterstützen. frie

Die Betroffenen selbst verstehen die negativen Bescheide oft erst einmal nicht. "Es dauert, bis das mit allen Konsequenzen wahrgenommen wird", weiß Julian Mantoan. Der 23-Jährige ist seit Juni als Asylsozialberater im Kraillinger Containerdorf im Auftrag des Vereins "Hilfe von Mensch zu Mensch" im Einsatz. "Die Stimmung im Dorf ist eigentlich gut", sagt er. Wären da nicht die Abschiebungsbescheide. In jedem Fall hätten die Betroffenen bislang Klage beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingereicht, um Zeit zu gewinnen. Ein paar Monate vielleicht nur, wie Mantoan sagt. Ein junger Mann ist nach Erhalt des Abschiebebescheids einfach untergetaucht.

"Die Unruhe ist extrem groß", sagt Sonia Welski-Preisser vom Helferkreis. Die Ehrenamtlichen versuchten zwar, die Dorfbewohner bei Laune zu halten, "doch das ist extrem schwierig", wie die Kunsttherapeutin sagt. Weil die Helfer es selbst nicht verstehen, mitunter wie gelähmt sind. Ein knappes Jahr lang haben sie sich als Paten bemüht, ihre Schützlinge in Arbeit zu bringen, mit Erfolg: 18 Bewohner sind inzwischen fest angestellt, sechs haben einen Ein-Euro-Job, fünf einen Mini-Job.

Afghanistan ein sicheres Land? "Alles andere", sagt Welski-Preisser. Dazu reichen ihr die Erzählungen der Flüchtlinge und ein Blick in die Nachrichten. Shoaibullah Formily hofft. Und sollte die Klage negativ beschieden wird? Er überlegt nicht lange, bis er sagt: "Okay, dann aber bitte nicht Afghanistan".

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