Süddeutsche Zeitung

Undurchsichtige Historie:Geheimsache Tanklager

Täuschen und tarnen gehört zur Geschichte des Treibstoffdepots im Wald zwischen Krailling und Germering dazu. In den Dreißigerjahren wollten die Nazis den Leuten sogar einmal weismachen, dort würde eine Schokoladenfabrik entstehen. Nun gibt es erneut Pläne für eine Umnutzung des Geländes.

Von Michael Berzl, Krailling

Als im Kreuzlinger Forst Hunderte Bauarbeiter damit begannen, Gruben auszuheben, da sollten die Leute in der Umgebung glauben, dort entstünde eine Schokoladenfabrik, Marke Münchberg. Die Abkürzung "Wifo" für die Tarnfirma "Wirtschaftliche Forschungsgesellschaft" ist vielen in Krailling und Germering heute noch ein Begriff. In Wirklichkeit aber wurden die Gruben ausgehoben, um dort riesige Tanks zu vergraben. Geheimniskrämerei gehört zur Geschichte des heutigen Treibstoffdepots also schon immer dazu, und das seit den ersten Debatte um das Gelände in den 1930er-Jahren.

Auch jetzt gerade wieder wünschen sich Politiker vom Bürgermeister bis zum Bundestagsabgeordneten in einem gemeinsamen Protestbrief an die jetzigen Eigentümer der Anlage mehr Klarheit. Das Tanklager wird zum Politikum seit Pläne einer Privatfirma bekannt wurden, die dort einen Verladebahnhof bauen möchte.

Begonnen hat die Geschichte des Kraillinger Tanklagers vor fast 90 Jahren in der Zeit des Nationalsozialismus. Innerhalb von dreieinhalb Jahren Bauzeit entstand ein Treibstoffdepot für die Wehrmacht, am Rand von Unterpfaffenhofen entstand eine Wifo-Werkssiedlung. Knapp tausend Bauarbeiter seien im Kreuzlinger Forst beschäftigt gewesen, berichtet der Hobbyhistoriker Hans-Dieter Götz aus Germering in seinem Buch über die "Geheime Reichssache Wifo". Ein Jahr lang hatte er in Archiven gestöbert und Zeitzeugen befragt. 1938 wurde begonnen, die 52 unterirdischen Tanks mit Kraftstoff zu befüllen, heißt es in einer Firmeninfo der Krailling Oils Development GmbH, die das Gelände heute betreibt. Weitere Lagerflächen sollten entstehen, 1941 wurden jedoch die Arbeiten eingestellt.​

Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs seien Kesselwagen bombardiert und dabei auch Gleisanlagen so stark zerstört worden, dass die Zugverbindung nach Gauting aufgegeben wurde. Bei einem Bombenangriff am 27. April 1945 sind laut der Dokumentation 27 Beschäftigte getötet und mehrere Tanks getroffen worden. Die meisten waren schon leer, darum kam es zu keiner Umweltkatastrophe.

Das Depot hat nach Ende des Zweiten Weltkriegs die US-amerikanische Armee übernommen und selbst genutzt. 1959 haben die Streitkräfte das Gelände an die Bundeswehr übergeben, die wiederum ein Privatunternehmen mit dem Betrieb beauftragte. Zeitweise wurden von Krailling aus die Militärflughäfen Leipheim, Landsberg, Lagerlechfeld und Fürstenfeldbruck über eine Fernleitung mit Kerosin versorgt. Nach wie vor sei das Tanklager an das Pipeline-Netz der Nato angeschlossen.

Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) hat im Jahr 2009 das Tanklager zum Kauf angeboten, auch die Gemeinde Krailling hatte sich damals als Käuferin beworben, kam aber nicht zum Zug. Nach dem Notartermin im August wurden im Oktober die Kraillinger Gemeinderäte sogar zu einer Führung durchs Gelände eingeladen. So viel Transparenz war selten - allerdings mit Einschränkungen. Auf etwas Diskretion legte auch der damalige Eigentümer wert, die Viktoriagruppe aus der Tschechischen Republik. Sämtliche elektronischen Geräte wie auch Handys waren verboten. Der Sicherheitsdienst werde "solche Gegenstände" gerne verwahren, hieß es in der Einladung zum Besichtigungstermin.

In den Tanks ließ dann die Tschechische Republik für mehrere Jahre Treibstoffreserven einlagern. Schließlich musste die Viktoriagruppe aber Konkurs anmelden. Nach langen juristischen Auseinandersetzungen und internationalen Verhandlungen begann im Herbst 2016 der Rücktransport von 75 Millionen Litern Diesel nach Pilsen. Jetzt gehört das Areal der G1 Krailling Real Estate GmbH von Kateřina Radostová, einer Juristin aus Prag. Betreibergesellschaft ist die Krailling Oils Development.

Der Öffentlichkeit war von Beginn an weitgehend verborgen, was sich auf dem Gelände abspielt. Der Zugang wird verwehrt, von außen ist nur wenig mehr zu sehen als ein paar Gleise, die bei Germering ins Gelände führen, und ab und zu ein Zug mit Kesselwagen, der Nachschub liefert. Ein mehr als sieben Kilometer langer Zaun umgibt das gesamte Areal, das im Norden an die Lindauer Autobahn grenzt und im Süden fast bis zur Pentenrieder Straße reicht. Viele Anlagen und die größten Tanks sind unterirdisch angelegt. Oben konnten sich Flora und Fauna ungestört entfalten. Biotope entwickelten sich, eine Mufflon-Herde durfte dort weiden.

Die Ausmaße der technischen Anlagen auf dem Gelände sind gigantisch. Nach Angaben der Bima im Verkaufs-Exposé umfasst das Gelände eine Fläche von 230 Hektar. Die Tanks in unterschiedlichen Größen haben ein Fassungsvermögen von insgesamt fast 125 000 Kubikmetern. Auf dem Gelände gibt es nach Angaben der jetzigen Eigentümer 21 Ladestellen für Tanklastwagen und 84 Anschlussstellen für Kesselwagen. Es gibt drei Bahnhöfe und 18 Kilometer Gleise. Vom Tanklager führt ein Gleis an Harthaus vorbei zum Bahnhof in Freiham. Ein weiteres Gleis nach Gauting ist stillgelegt.

Und nun steht dem geheimnisumwitterten Tanklager offenbar ein neues Kapitel in seiner langen Geschichte bevor. Nachdem es mehr als acht Jahrzehnte lang fast nur als Depot für Treib- und Schmierstoffe diente, kommen jetzt alle möglichen Nutzungen ins Gespräch. Die Post soll Interesse bekundet haben, weil sie Flächen in Gauting aufgeben muss und Ausweichmöglichkeiten braucht. Recycling von Autobatterien ist im Gespräch und eine Wasserstoffproduktion. Derweil plant ein Unternehmen der Metrans-Gruppe mit Sitz in Prag dort einen Verladebahnhof, wo Güter von Lastwagen auf Züge gehievt werden sollen. Die alte Gleisverbindung nach Gauting soll reaktiviert werden. Nach Angaben des Unternehmens sind mehrere Gutachten in Arbeit, darunter Schallgutachten, Untersuchungen zum Artenschutz und eine eisenbahnbetriebswissenschaftliche Untersuchung.

Politiker von der CSU bis zu den Grünen lehnen die Pläne für ein Container-Terminal ab

Seit die Pläne für ein Container-Terminal im Kreuzlinger Forst bekannt sind, stemmen sich Politiker unterschiedlicher Couleur dagegen. Die Idee "verwundert", erklären etwa Grüne und CSU in Krailling in einer gemeinsamen Erklärung. Sie fordern "volle Transparenz" und eine Sondersitzung, in der die Pläne von Krailling Oils öffentlich gemacht werden. Die Starnberger FDP-Kreistagsfraktion warnt, für eine neue Gleisverbindung nach Gauting müsse Bannwald gerodet werden, "die Anwohner wären massiv von Lärm durch Zulieferung betroffen". Und dann gibt es da noch eine Art Protestschreiben, das auch die Landräte von Starnberg und Fürstenfeldbruck, Stefan Frey und Thomas Karmasin, unterzeichnet haben. Darin wird eine Informationspolitik moniert, die nur scheibchenweise erfolge und zum Ziel habe, "vollendete Tatsachen zu schaffen". Die Münchner Agentur Hendricks & Schwartz, welche die PR-Arbeit in der Angelegenheit übernommen hat, teilt mit: "Die Überlegungen zu diesem Vorhaben befinden sich noch in einem sehr frühen Stadium, sodass noch keine Details genannt werden können. Zunächst wird die grundsätzliche Machbarkeit des Projekts evaluiert."

Unterdessen kommt das Thema Verladebahnhof in den öffentlichen Debatten in der Kommunalpolitik an. Am kommenden Montag befasst sich auf einen Antrag der Grünen hin der Umweltausschuss des Starnberger Kreistags damit, am Dienstagabend steht das Thema im Gautinger Gemeinderat auf der Tagesordnung.

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