Schostakowitschs 15. Symphonie bleibt ein Rätsel. Die Reduktion auf ein Kammerensemble, die klarer, direkter zur Sache kommt und die konzentrierte Essenz offenlegt, konnte auch nicht mehr über ihren inhaltlichen Kontext mit den Zitaten von Wagner und Rossini oder über die Mahlersche Chromatik verraten. Und dennoch: Die Kammerensemblefassung von Viktor Derevianko, die Schostakowitsch ausdrücklich billigte, "sogar ohne irgendwelche Korrekturen vorzunehmen" (Derevianko), entließ das Gautinger Bosco-Publikum schließlich tief beeindruckt nach Hause. Vor allem wegen der intensiven, hingebungsvollen und ausdrucksmächtigen Interpretation der allesamt preisgekrönten und international renommierten Musiker.
Natalia Prishepenko (Violine), Sebastian Klinger (Violoncello), Marianna Shirinyan (Klavier) Johannes Fischer und Domenico Melchiorre (beide Schlagzeug) sind zweifelsohne brillante Solisten, doch vor allem passionierte Kammermusiker, die dem Ensemblespiel große emotionale Tiefe verleihen können. Und dafür bekamen sie in diesem "Schostakowitsch Projekt" nicht nur genügend Gelegenheit, sondern auch ein weites Experimentierfeld. Die Wahl des Repertoires war an diesem Abend schon ein Experiment, stieg das Ensemble doch mit einem klassisch-romantischen Werk ein. Schuberts 1. Klaviertrio B-Dur (D 898) hat von seinem Entstehungshintergrund her viel mit Schostakowitschs 15. Symphonie gemeinsam. Beide Werke entstanden im Bewusstsein des nahenden Todes und sind daher sehr persönlich. Zudem beschlossen beide Komponisten keine tragisch-pathetischen Abschiedsszenen zu kreieren, als vielmehr heitere Musiken, auch wenn der dramatisch brodelnde Hintergrund sich immer wieder auch einen Weg ins Rampenlicht bahnte. Und das war hier eine besondere Qualität der Interpretationen: Das gerade bei Schubert oft vergnügliche, bisweilen lyrisch sinnierende Bild durchgehend aufrecht zu erhalten, zugleich aber auch die dramatisch-tragische Spannung des Leids und der Verzweiflung durchschimmern zu lassen. Diese Dreidimensionalität der Musik ist absolut notwendig, um Schuberts Werk gerecht werden zu können.
Dem Schlagzeugduo fiel die Aufgabe zu, die Brücke zwischen Schubert und Schostakowitsch zu schlagen, auch wenn eine gewisse Schockwirkung nicht komplett eliminiert werden sollte. "DmitriRemix", also eine Neuverarbeitung von Motiven Schostakowitschs, aus der Feder von Fischer, half, den Perspektivwechsel von der schön musikalischen, in harmonischen Proportionen ausbalancierten Klangformung bei Schubert zu einer Öffnung der Sinne für neue Klangqualitäten bei Schostakowitsch. Und die kamen im DmitriRemix vor allem im Bereich des Geräuschhaften ins Spiel. Feinste Differenzierung vom gewischten Rauschen über Bogengestrichenes bis hin zu glöckchenartiger Pointierung und geschlagenen Höhepunkten, wie sie später die Schostakowitsch-Symphonie vergleichbar aus weitesten Rücknahmen hervorbrechen lassen sollte.
Der DmitriRemix ist eine Art Meditation, ein Gebet von buddhistischer Langsamkeit, Monotonie und seelentiefer Versenkung. Seine Wirkung erwies sich als ein ausgesprochener Kunstkniff, Schostakowitschs Symphonie als einen gewaltigen Brocken erstehen zu lassen. So konnte also das bizarre Bild eines Kosmos von Spielzeugautomaten im Kopfsatz entsprechend ironisch, ja schon sarkastisch vermitteln. Das Zitat aus Rossinis Wilhelm-Tell-Ouvertüre kam spöttisch daher. Schier unerträglich indes die Dehnung des langsamen Satzes, die alle Aufmerksamkeit auf die innere Spannung lenkte. Das reiche Schlagwerk (15 Instrumente), das laut Derevianko ohne Veränderungen übernommen wurde, vermochte nicht nur für spannende Klangkombinationen zu sorgen, sondern auch beachtliche Akzente zu setzen, die das Klaviertrio mit monumentaler Klangmasse füllte. Musiker und Publikum brauchten danach eine Weile, bis sie in der Gegenwart angekommen waren. Ovationen.