Konzertkritik:Abgefahren

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Raffiniertes Spiel: Hansi Enzensperger, Manfred Mildenberger und Ludwig Klöckner (v.li.) von "Organ Explosion". (Foto: Nila Thiel)

Die Vintage-Helden von "Organ Explosion" stellen im Gautinger Bosco ihr zweites Album "Level 2" vor und demonstrieren, wie elegant sich Jazzharmonien und verzinkte Grooves miteinander verbinden lassen

Von Gerhard Summer, Gauting

Wenn nur dieses Geschleppe nicht wäre! Klar, so eine Hammond-Orgel und alte Synthesizer haben ihren ganz eigenen dreckigen Klang. Wenn dann noch ein Leslie-Kabinett dranhängt, schwirrt, grummelt und wirbelt es, als würde gleich ein Raumschiff abheben. Aber diese Bühnensaurier ziehen einem die Arme böse in die Länge, wenn sie herumgehievt werden müssen, und die solide Röhrentechnik ist nach Jahrzehnten reparaturanfällig, weshalb viele Musiker die unhandlichen Trümmer längst aus dem Proberaum verbannt haben. Schließlich kommen digitale Gerätschaften inzwischen auch schon erschreckend nah an diese Sounds heran, es fehlen vielleicht noch ein paar Details.

Bei "Organ Explosion" dreht sich allerdings alles um Feinheiten. Vintage-Instrumente spielen in dieser Band eine tragende Rolle, und so ist das Trio ausgestattet, als hätte es mal eben in den Sechziger- und Siebzigerjahren eingekauft. Ludwig Klöckner zupft einen Höfner-Bass. Manfred Mildenberger vertraut aufs Ludwig-Schlagzeug. Und Organist und Keyboarder Hansi Enzensberger hat auf der Bühne im vollbesetzen Gautinger Kulturhaus Bosco neben der Hammond auch ein Rhodes und den eigenwilligen Synthesizer Roland Jupiter-4 aufgebaut. Verglichen mit der Wagenburg, die einst Yes-Organist Rick Wakeman auf den Bühnen um sich herum aufgeschichtet hatte, nimmt sich das noch erfreulich überschaubar aus.

Aber wenn Enzensperger dann die Tasten drückt und an Knöpfen zieht, bricht der große Retro-Wahnwitz los: Töne tropfen, blubbern, wabern und splittern, als liefe jemand über Glas. Kastagnetten klappern, Panflöten hauchen vor sich hin, Vögel tirilieren, und ein Vibraphon scheint auch noch im Spiel zu sein. Fehlte eigentlich nur noch ein Trautonium wie in Alfred Hitchcocks "Die Vögel". Dabei ist Enzensperger keineswegs auf Effekthascherei aus, weil's so schön ungewöhnlich klingt. Nein, Hammond und Synthesizer stehen ganz im Dienste dieser witzigen, mal dahinwackelnden, mal voranpreschenden und zerklüfteten Instrumentalmusik, die jazzige Harmonien, eingängige Melodien und verzinkte Grooves raffiniert miteinander verbindet. Das klingt dann manchmal fast so, als wäre ein Roboter wie R2-D2 in die Band eingetreten oder als dürften die ollen Klingonen endlich zeigen, was sie musikalisch draufhaben. Abgefahrener Jazz eben.

Stilistisch sind "Organ Explosion", die sich bei ihrem Konzert von dem Saxophonisten Florian Riedl unterstützen lassen, breit aufgestellt. In ausgedehnten Eigenkompositionen wie "Undecided Decision", "Käse³ ""Lugg Song", "Positive Vibration" oder "Italien Mafia", vor allem aus der zweiten CD "Level 2", kommt der Reggae genauso vor wie die assoziationsreiche Filmmusik im Rosaroten-Panther-Stil. Raue und rockige Passagen wechseln sich ab mit Anklängen an Blues und Funk, es gibt aber auch Swing, der einem Woody Allen zusagen würde. Und die Vier machen nicht mal vor den "Shadows" und ihrem Instrumental "Apache" halt, das so unterschiedliche Männer wie Mark Knopfler und Slash dazu brachte, Gitarre spielen zu wollen: Wie sie das Stück zerlegen, mal kurz in die Psychiatrie schicken und dann wieder fein zusammenbasteln, das hat schlicht Klasse.

Mit am aufregendsten an diesem Abend aber ist, wie eng miteinander verzahnt und wie traumwandlerisch sicher das Spiel dieser Musiker ist, ob es um knifflige Breaks geht, lang gezogene Steigerungslinien oder wunderbar minimalistische Schlüsse. So leichthin das alles klingt, so viel Feinarbeit steckt dahinter. Mildenberger klopft beileibe nicht brav nur den Rhythmus, er achtet auf jede Phrase, betont sie und gibt Enzenspergers Melodien Geleitschutz. Klöckner spielt einen souveränen, solistischen Bass, der schon auch mal wie ein alberner Gigolo vor sich hinquaken kann. Und Saxophonist Riedl tut der Gruppe hörbar gut, schon weil sein Instrument stark vokalen Charakter hat und Gesang zuweilen nicht schaden würde, auch wenn er anfangs noch gehetzt wirkt. So viel Vintage-Charme kann das Publikum im Bosco nicht widerstehen. Es feiert jedes Solo, und der Applaus fällt rauschend aus.

© SZ vom 28.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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